Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)
Anblick bekam er wider Erwarten richtig Appetit. Er beschloss den Rat des Mediziners zu befolgen, schenkte sich Kaffee aus der großen Thermoskanne ein und machte sich über den Teller her.
Etwa nach einer halben Stunde kam Dr. Keul mit Wildmann wieder. „So, wir sind fertig. Haben Sie sich erholt?“
Der Mediziner sah den leeren Teller auf dem Tisch und stutzte.
„Na, Sie wollen wohl wirklich Karriere machen hier ... Erst kippt er aus den Latschen und dann futtert er mir auch noch mein privates Zusatzfrühstück weg! Bravo!“
Er hob demonstrativ die weiße Serviette von einer großen Platte mit Wurstsemmeln, die wohl für die Allgemeinheit gedacht waren, und nahm sich eine davon.
25
Die Villa lag am Hang, auf einem großzügigen Grundstück oberhalb von Marquartstein. Petra Körbel stellte den Wagen gegenüber am Straßenrand ab und sie sahen sich erstmal um. Von hier oben hatte man einen imposanten Blick über das Voralpenland und den Chiemsee, vor allem an einem klaren Tag wie heute. Am anderen Ende der Einfahrt, die durch ein schmiedeeisernes Tor verschlossen war, gab es einen kleinen Parkplatz mit Dreifachgarage. Vor der mittleren parkte ein schwarzer Benz der S-Klasse. Schräg links oberhalb der Garagen konnte man zwischen Bäumen die elegante weiße Villa erkennen, die bestimmt um die hundert Jahre alt war. Auch die war ein bisschen mit unsinnigem Schnickschnack jüngeren Datums verunstaltet, aber längst nicht so schlimm wie die Privatklinik.
Hattinger drückte den Messingknopf neben der ebenfalls schmiedeeisernen Gartentür. Schon nach ein paar Sekunden blaffte eine krächzige Männerstimme aus der Türsprechanlage:
„Ja, was wollen Sie?“
„Herr Dr. Schanderl?“
„Ja, wer will denn das wissen? Geben Sie sich bloß keine Mühe, ich kaufe nichts an der Haustür!“
„Wir wollen nichts verkaufen, wir sind von der Kriminalpolizei. Mein Name ist Hattinger. Wir würden Sie gern sprechen, Herr Schanderl.“
„Doktor Schanderl, so viel Zeit werden Sie doch wohl haben?“
„Doktor Schanderl, Verzeihung ... Also können Sie uns vielleicht kurz reinlassen?“
„Halten Sie mal Ihren Ausweis in die Kamera.“
„Bitte ...?“ Hattinger sah sich um. Erst auf den zweiten Blick entdeckte er die unauffällige kleine Videokamera über dem Torpfosten. Er zog seinen Dienstausweis und hielt ihn in die Kamera. „Gut so? Können S’n lesen?“
Als Antwort summte der Türöffner. Während sie hineingingen, krächzte Schanderl: „Ich nehme an, für die Damen werden Sie sich verbürgen!“ Die Sprechanlage ging mit einem Knacksen aus.
Hattinger schaute die beiden Polizistinnen an. „Da war i ma ned so sicher ...“
Während sie die Einfahrt hinaufgingen, kam ihnen schon ein recht rüstig wirkender, drahtiger Mann mit schütterem weißen Haar entgegen. Er zog im Gehen einen Lodenmantel über.
„Was wollen Sie denn von mir?“
Offensichtlich hatte Herr Dr. Schanderl nicht die Absicht, die Polizisten ins Haus zu bitten.
„Sollten wir nicht vielleicht reingehen?“, fragte Hattinger vorsichtig.
„Ich hab sowieso nicht lang Zeit, ich muss gleich weg.“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des schwarzen Mercedes. „Also kommen Sie besser gleich zur Sache!“
„Gut, wie Sie wünschen. Sie haben eine Privatklinik geleitet, die Dr. Martius Klinik ...“
„Ach, hören Sie mir doch damit auf! Immer wieder die ollen Kamellen. Ich habe seit Jahren nichts mehr mit der Klinik zu tun!“, bellte Schanderl los. Das Thema schien ihn anzustechen.
„Aber Sie wissen ja noch gar ned, was wir fragen wollen ...“
„Ach was, hören Sie doch auf! Ist doch immer dasselbe: Da kommt jemand daher, der Geld von mir will, was ihm gar nicht zusteht und was ich nicht habe, und dann hetzt er Polizei und Justiz auf mich! Ich habe nichts mehr. Ich bin völlig mittellos!“
„Auf die Idee kommt ma aber net, wenn ma sich hier umschaut ...“, warf Andrea Erhard ein.
„Hah!“ Schanderl lachte sarkastisch auf. „Gehört alles meiner Frau. Wenn die mich rauswirft, stehe ich auf der Straße.“
Die Art, wie er das sagte, machte allerdings deutlich, dass die Machtverhältnisse in Wirklichkeit anders lagen.
„Ich habe nicht mal mehr eine Altersversorgung, die ich noch verpfänden könnte.“
„Soll’ma jetzt Mitleid habn?“ Langsam ging Hattinger der Typ auf den Senkel.
„Hören Sie mal, junger Mann: Die Klinik ist weg, die Prozesse sind gelaufen. Mir wurde alles genommen, ich wurde geschmäht und beleidigt
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