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Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)

Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition)

Titel: Chiemsee Blues: Hattinger und die kalte Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bogenberger
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cool zu bleiben. Er hatte schon etliche Leichen auf dem Sektionstisch gesehen in seiner noch relativ jungen Kripokarriere. Die waren zwar bisher immer als Ganzes dahergekommen, aber er beschloss einfach, diese neue Herausforderung professionell anzugehen. Ihm half dabei die Erfahrung, dass er das, was er sah, komplett versachlichen konnte, wenn es notwendig war. Jedenfalls für den Moment. Das versuchte er sich jedenfalls einzureden.
    Gefühle einfach außen vor lassen ...
    Den Kopf kannte er ja sowieso schon.
    Nüchtern betrachtet hatte das Ganze ja etwas von einer Fleischtheke in der Metzgerei. Da brach man ja schließlich auch nicht zusammen und dachte: Oh mein Gott, dieses Kotelett, diese Haxen ... das arme Schwein ... das ist aber schlimm ... Na gut, war vielleicht kein so passender Vergleich ... Pietätlos. Aber irgendwie musste man sich ja ablenken.
    Die Hände. Die Füße. Hatte er auch schon gesehen.
    An was anderes denken ... Er bemühte sich verzweifelt, zu denken. Was anderes! Er dachte und dachte ... wieso war das so schwer? Er dachte schließlich an ... Eisbein ... Nein! Um Gottes willen, warum eigentlich immer an Essen? Ein ganz blödes Klischee, dass man in der Pathologie immer an Essen denkt, so ein Käse. Zumal einem doch jeglicher Appetit verging, angesichts dieser, dieses ... Dann doch lieber ... einfach an irgendetwas, Hauptsache es ist, es wäre ... es war ... es sei, es würde sein, es würde gewesen sein. Ja!
    Ich du er sie es wir ihr sie ... an Grammatik zum Beispiel oder an etwas ganz anderes, etwas Angenehmes? Aber was? Was wäre denn jetzt angenehm? Urlaub, zum Beispiel ... in ... vorher müsste er sein Auto zur Reparatur bringen, die Bremsen machten so ein komisches Geräusch ... bevor er noch einen Unfall ... mit Verletzten und Toten – Herrgottnochmal! Was mache ich eigentlich hier?
    Während Wildmann also die Lage voll unter Kontrolle hatte, nahm der Polizist Baumann nach dem vergeblichen Versuch, seinen Blick an die cremeweiß getünchte Decke des Sektionssaals zu heften und ihn dort dauerhaft zu arretieren, innerhalb der nächsten Minute die Farbe seiner Uniform an. Im Gesicht ...
    Ihm wurde auf einmal sehr warm. Obwohl es ziemlich kühl war im Raum. Er begann wild zu gähnen. Er hatte das Gefühl, die Luft enthielte viel zu wenig Sauerstoff! Er hätte eigentlich frieren sollen, und doch begann der Schweiß aus seiner Stirn zu perlen.
    „Hören Sie, wenn Ihnen schlecht wird, dann gehen Sie doch bitte vorher raus.“ Dr. Keul ahnte schon, was passieren würde.
    Seine Warnung kam zu spät. Der grüne Polizist brach direkt hinter dem Sektionstisch zusammen. Er machte auch keine Anstalten, wieder aufzustehen.
    „Na prima, das musste ja so kommen.“ Der Rechtsmediziner sah Wildmann vorwurfsvoll an. Als ob der was dafür könnte.
    „Kommen Sie, helfen Sie mir mal.“
    Wildmann war froh, dass er etwas zu tun bekam. Dr. Keul umrundete den Sektionstisch und tätschelte dem am Boden liegenden Polizisten die bleichen Wangen.
    „Hallooo! Kommen Sie, aufstehen ... Sie können hier nicht liegen bleiben. Wir sind ja hier keine Übernachtungspension.“
    Wildmann half Dr. Keul, den Polizisten wieder auf die Beine zu stellen. Gemeinsam stützten sie ihn und führten ihn aus dem Saal. Dr. Keul bugsierte ihn in einen kleinen Aufenthaltsraum.
    „So, jetzt setzen Sie sich erstmal da hin. Geht’s wieder?“
    „Tut mir leid ...“, sagte der Grünrock nur, dabei huschte aber schon wieder eine kleine Röte über sein Gesicht.
    „Na also, da kommt ja schon wieder ein bisschen Leben. Das ist schon in Ordnung, das passiert vielen beim ersten Mal.“ Der Obduzent war plötzlich unerwartet nett. Er hatte reichlich Erfahrung mit Umgekippten.
    „Da gibt es Semmeln, essen Sie erstmal was, nehmen Sie sich Kaffee. Und wenn Sie meinen, dass Sie wieder fit sind, dann kommen Sie wieder, sonst bleiben Sie lieber hier ...“ Damit rauschte Dr. Keul mit Karl Wildmann im Schlepptau wieder davon.
    Eine ganze Zeit lang saß der Streifenpolizist Peter Baumann nur still da und sortierte die fürchterlichen Bilder in seinem Kopf. Irgendwann tauchte er wieder auf aus der Versenkung. Die Übelkeit war schlagartig weg.
    Jetzt erst bemerkte er den zugedeckten Teller vor sich auf dem Tisch. Vorsichtig hob er die weiße Serviette hoch und sein Blick fiel auf zwei lecker aussehende Schinkensemmeln, mit Gürkchen und hart gekochten Eiervierteln und Tomatenscheiben garniert. Er hatte noch nicht gefrühstückt und bei dem

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