Chiffren im Schnee
schenkte einmal mehr nach, inzwischen musste er keine sanfte Gewalt mehr anwenden. Dann besorgte er sich eifrig einen Stuhl und gesellte sich zu Christian. Er vergass allerdings nicht, sich zwischendurch wieder um Cecil zu kümmern.
Wie Christian erwartet hatte, dauerte es nicht lange, und der Enzianschnaps zeigte seine Wirkung. Cecil gab sein männliches Schweigen auf und begann in unzusammenhängenden Worten gegen die skandalöse Behandlung eines Mitglieds des Unterhauses zu protestieren. Das ging eine Weile so, bis er schliesslich einnickte.
Nach gut einer Stunde waren sie mit ihrer Arbeit fertig. Christian erhob sich und warf einen Blick auf Cecil, der leise Schnarchgeräusche von sich gab. «Können Sie den Gentleman auf das Sofa verfrachten? Ich kann Ihnen dabei leider nicht helfen.»
Henning band Cecil los, weckte ihn mit der Routine des Barkeepers auf und brachte ihn mit sanfter Überredung dazu, sich aufs Sofa zu legen, wo Cecil sofort wieder zu schnarchen begann. Henning drehte ihn vorsorglich auf die Seite und legte ihm ein Kissen unter den Kopf.
Christian holte seine Taschenuhr hervor. «Meine Cousine hängt an Mister Seymour, er sollte deshalb aus diesem Abenteuer keine bleibenden Schäden davontragen. Jemand muss bei ihm bleiben und auf ihn aufpassen – aber ich habe jetzt andere Pläne. Am besten holen Sie Paget, Lady Georgianas Zofe. Sagen Sie einfach, ihre Dienste als Krankenpflegerin würden verlangt. Und dann müsste ich noch einen der Pagen sprechen, am besten den rothaarigen Burschen mit den grossen blauen Augen.»
«Norbert – eine gute Wahl. Fräulein Staufer mag ihn, auch wenn sie es nicht zeigen mag.»
«Ich weiss, und er hat Talent zum Verschwörer.»
Etwas später begrüsste Paget Christian mit ungerührter Miene, das Schnarchen, das vom Sofa herüberklang, taktvoll ignorierend. Er hatte ihr eigentlich ein Märchen auftischen wollen, dass Cecil sich zu einer verfrühten Neujahrsfeier habe hinreissen lassen. Doch angesichts ihrer Unerschütterlichkeit liess er das bleiben.
«Mister Seymour sollte nicht alleine sein, bis es ihm wieder etwas besser geht. Leider kann ich nicht hier bleiben, um nach ihm zu sehen. Ich hatte gehofft, Sie könnten das übernehmen.»
«Sie können sich auf mich verlassen, Sir.»
«Und noch etwas, Paget.» Christian holte Cecils Waffe hervor. «Schliessen Sie hinter mir die Tür und öffnen Sie niemandem ausser mir, Lady Georgiana oder Miss Staufer. Sollte doch jemand versuchen, gewaltsam einzudringen, dann verjagen Sie ihn hiermit. Lady Georgiana hat Ihnen hoffentlich gezeigt, wie man damit umgeht?»
Sie nahm ihm die Waffe ab und blickte ihn milde tadelnd an. «Ich habe Lady Georgiana beigebracht, wie man damit umgeht.»
Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
Nun verlor sie doch einmal die Fassung. «Master Christian!», entfuhr es ihr.
«Diese Anrede habe ich schon lange nicht mehr gehört», sagte er lächelnd.
Sie setzte sich mit ihrem Handarbeitsbeutel an den Tisch und begann ihre Krankenwache. Die klobige Webley verschwand unter einem zarten Werk aus Spitzen.
Es klopfte und Norbert erschien. Er lauschte Christians Anweisungen aufmerksam und verschwand dann wieder, ausgestattet mit einem hübschen Trinkgeld, einer unter den Arm geklemmten Schachtel und einem spitzbübischen Grinsen.
Christian ging in das Schlafzimmer und machte sich für einen Ausflug ins Freie bereit. Als er in das Lesezimmer zurückkam, traf er dort Henning an, der sich inzwischen mit einem kurzen Mantel ausstaffiert hatte und sich nun leise mit Paget unterhielt. Zu Christians Erstaunen gelang es dem Barkeeper sogar, Paget ein seltenes Lächeln zu entlocken.
Christian lehnte seinen Spazierstock gegen den Tisch, ging zu dem Pult und holte ein weiteres Bündel Papiere hervor, an dem er am Vortag gearbeitet hatte. Die Blätter waren mit einem Stück Bindfaden zu einem Manuskript zusammengeheftet, das er sich nun unter seine Weste schob. Er wandte sich zu Henning um. «Ich nehme an, es hat keinen Sinn, Sie zu bitten, an Ihre Arbeit zurückzukehren?» Er stellte die Frage mit einer gewissen Resignation, denn Hennings rebellischer Gesichtsausdruck sprach Bände. Trotzdem versuchte er es nochmals. «Sie werden Schwierigkeiten mit der Direktion bekommen.»
Henning warf einen beredten Blick auf das Sofa, von wo wenig dezente Schnarcher zu vernehmen waren. «Ich würde sagen, die habe ich bereits.»
«In der Tat. Nun, wenn alles vorbei ist, werde ich mich darum
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