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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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erkennen konnte.
    Christian suchte sich einen Platz an der Rückwand der Remise, neben den für den Winter eingestellten Kutschen. Von hier konnte er sowohl das Tor wie die kleine Seitentür gut im Auge behalten. Er lehnte sich an ein Regal und wartete. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch schliesslich öffnete sich das Tor einen Spalt weit, und eine Gestalt in Schwarz, mit einem rüschenbesetzten Rock und einer gefältelten Pelerine trat ein. Ihre Hände waren unter der Pelerine verborgen, ein Ridicule lugte darunter hervor.
    «Frau Kommerzialrat – ich freue mich, dass Sie meine Nachricht erhalten haben und wir uns endlich kennenlernen.»
    «Ich wünschte, ich könnte dasselbe von Ihnen sagen, Lieutenant Wyndham. Aber für Verräter habe ich nicht viel übrig, nicht einmal dann, wenn ich mich gezwungen sehe, mit ihnen Geschäfte zu machen.» Sie trat ein paar Schritte näher, ihr auffällig langer Rock schleifte durch den Staub. «Hätten Sie sich nicht einen weniger schmutzigen Treffpunkt aussuchen können? ‹Wo Phaeton sich ausruht› – wahrlich kein Meisterstück von einem Code. Sie werden Ihrem Ruf nicht gerecht.»
    «Nun, ich wollte sichergehen, dass auch einfache Gemüter damit nicht zu grosse Mühe haben. Und der Staub ist nicht das, was Sie an diesem Ort beunruhigen sollte.»
    «So, was dann?»
    «Das wissen Sie besser als ich – die Erinnerung an den Mord, den Sie hier anordneten.»
    «Ich verstehe nicht, was Sie meinen.»
    «Der junge Mann, der heute beerdigt wird – er kam Ihnen und Ihren Helfern in die Quere, als Sie hier Ihre kleine Brandstiftung vorbereiteten, und Sie haben angeordnet, dass er beseitigt wird. Es dauerte eine Weile, bis ich dahinterkam. Sie waren an jenem Abend in der Bar und sahen, wie gefeiert wurde. Aber Sie waren nicht dort, um sich über den Lärm zu beschweren. Sie waren dabei, die Lage zu sondieren, um herauszufinden, wie Sie Ammanns Leiche am besten verschwinden lassen konnten. Die Feier gab Ihnen eine Idee: Sie haben eine Flasche Enzianschnaps entwendet und kehrten damit hierher zurück. Wenig später betraten die beiden österreichischen Herren, die so gerne auf die Berge klettern, die Réception vom Seitengang her – in ihrer Mitte schleiften sie einen Mann. Dem Nachtportier erklärten sie, sie kämen aus der Bar und es handle sich um einen Gast, der zu viel getrunken hätte und dem sie nun aufs Zimmer helfen würden. Tatsächlich war das der bewusstlose Ammann, den sie so, ohne Verdacht zu erregen, in den Lift verfrachteten. Sie sind mit ihm auf den Dachboden und haben ihn dort erhängt. Das war ein Fehler. Ich fragte mich gleich, wer einfach so ein Seil zur Hand hat. Die Herren Alpinisten natürlich.»
    «Was für eine haarsträubende Geschichte.» Sie war in sicherer Entfernung stehen geblieben. «Und warum wohl sollte ich diejenige gewesen sein, die die Befehle gab?»
    «Weil Sie jetzt auch hier sind, um die Verhandlungen zu führen. Die Herren Schindler und Helm – ich nehme an, es handelt sich um Mitglieder der Gebirgstruppe – waren zu Ihrer Unterstützung für handfestere Tätigkeiten abgestellt. Tagsüber waren sie in den Bergen, während Sie durchs Hotel streiften und von der Aura der Toten faselten. Niemand nahm Sie ernst, eine wunderbare Tarnung, und darüber hinaus hofften Sie wohl, ein Zimmermädchen würde Ihnen bei Gelegenheit die Kleine Suite aufschliessen, damit Sie mit dem Geist des unglücklichen Professors Verbindung herstellen und nebenbei die Räume durchsuchen können, um das hier zu finden.» Christian holte das Manuskript hervor. Sie zog einen kleinen Revolver aus ihrem Ridicule.
    Er lachte leise. «Eine Ladysmith? Verzeihen Sie, aber ich finde das etwas unpassend. Sie sind keine Lady. Ihr Plan, die Remise in Brand zu stecken, um mich aus der Suite zu locken, hätte leicht schiefgehen können. Sie nahmen dabei in Kauf, dass Menschen umkommen. Eine richtige Lady hätte nach Mitteln und Wegen gesucht, dasselbe Ziel zu erreichen, ohne Menschenleben zu gefährden.»
    «Es ist mir egal, was Sie denken, Lieutenant Wyndham. Das Werk des Professors gehört Österreich-Ungarn, und ich werde sicherstellen, dass es in seine Heimat zurückkehrt.»
    Christian beschloss, auf Zeit zu spielen. Er mochte den grössten Fisch im Netz haben, aber das reichte nicht. «Es wird Ihnen nicht viel nützen, denn es ist nicht vollständig. Ich habe ein paar wichtige Passagen vernichtet, sie existieren nur noch in meinem Kopf. Es ist immer gut, sich

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