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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Kutsche. Er klammerte sich daran und rang auf den Knien für einen Moment vor Schmerz um Atem.
    Polternde Geräusche, Tritte und Flüche zeugten vom vergeblichen Versuch der Herren Offiziere, die Seitentür aufzubrechen. Nun rannten sie durch das Tor, um die Verfolgung aufzunehmen. Madame Gérard hatte mit Hilfe des Konsuls ihrer würgenden und hustenden Tochter aufgeholfen, jetzt schob sie diesen Gentleman unsanft aus dem Weg und hastete mit einem scharfen Befehl an das Mädchen, den Herrn Papa zu holen, ebenfalls aus dem Tor.
    «Unglaublich», meinte der Konsul. Er wandte sich Christian zu. «Was ist mit Ihnen, hat die Irre Sie mit einem Querschläger getroffen?»
    «Nein, ich bin in Ordnung – nur gestolpert.» Christian versuchte, die Oberhand über den Schmerz zu erhalten. «Los, laufen Sie diesen Verrückten hinterher und sorgen Sie dafür, dass sie nicht noch mehr Schaden anrichten.»
    Der Konsul liess sich das nicht zwei Mal sagen, er stürzte mit erstaunlicher Behändigkeit los.
    Mister Derringer blickte ihm kopfschüttelnd nach. «Wie ein altes Schlachtross – wir haben zusammen im Spanisch-Amerikanischen Krieg gekämpft. Ich glaube, er hat bei dieser Sache nur eingewilligt, um wieder mal ein Abenteuer zu erleben.»
    Er half Christian zusammen mit Henning hoch und zeigte dabei mehr Umsicht, als man einem so schwerfälligen Mann zugetraut hätte. «Wird’s denn gehen, mein Junge? Machen Sie sich bloss keine Sorgen, Deveraux wird schon auf Ihre Cousine achten.»
    Nach einem Blick auf Christians Gesicht fügte er hinzu: «Und auf die Gouvernante.»
    «Wir müssen in die Lingerie», erklärte Henning, der in einer Ecke der Remise rumorte.
    «Werden Sie das schaffen?», erkundigte sich Mister Derringer besorgt bei Christian. Ehe er antworten konnte, krachte es aus der Ecke, wo Henning verschwunden war.
    «Muss er nicht», erklärte der Barkeeper grinsend und zeigte auf das Gerät, das er hervorgezerrt hatte: Einen niedrigen Schlitten mit einer hohen Rückenlehne und nach hinten in die Länge gezogenen Kufen. «Allerdings kann ich das Ding wegen meiner Rippe nicht alleine bedienen, aber wenn mir Mister Derringer zur Hand gehen könnte, sollte es klappen. Das ist ein Tretschlitten und …»
    «Pah», empörte sich der Gentleman und nahm Henning das Gerät ab. «Sie müssen Matthew P. Derringer nicht erklären, was das ist. Ich bin an den Ufern des Lake Michigan aufgewachsen, wo es genauso viel Eis und Schnee gibt wie hier.» Und damit zog er den Schlitten aus der Remise. Henning reichte Christian seinen Spazierstock und fragte leise: «Wird’s denn gehen?»
    «Es muss.» Christian umklammerte den Spazierstock und schritt so schnell er konnte zum Tor. Trotz der winterlichen Kälte liess ihn die Anstrengung dieser wenigen Schritte in Schweiss ausbrechen. Als er endlich ins Sonnenlicht trat, klebte ihm das Hemd am Rücken. Mister Derringers Stimme schien aus grosser Ferne zu kommen: «Los, mein Junge, hinauf mit Ihnen. Und Sie, Henning, sind der Scout.»
    Die Dépendance lag verlassen hinter den Bäumen am Parkrand. Anna hatte den schmalen Pfad eingeschlagen, den das Personal als Abkürzung zwischen Dépendance und Hotel nutzte.
    «Was machen wir, wenn uns jemand fragt, was wir vorhaben?», fragte Lady Georgiana hinter Anna.
    «Es wird niemand dort sein. Um diese Zeit sind alle beim Mittagessen im Personal-Speisesaal oder bei sich zu Hause im Dorf. Sollten wir doch jemanden antreffen, fällt mir schon etwas ein. Wir gehen durch die Waschküche, das geht schneller, als ums Haus herumzulaufen.»
    Anna führte Lady Georgiana zu einem ebenerdigen Nebeneingang, der durch einen Windfang in die Waschküche führte. Hier verrichteten die Wäscherinnen in groben Schürzen die schwere Arbeit: schrubbten Tischtücher und Laken auf Waschbrettern, kümmerten sich um das Beheizen der grossen Kessel und bearbeiteten die im Sodasud schwimmenden Stücke mit Wäschestampfern. Nun aber lagen all die Gerätschaften verlassen da, die Schürzen hingen fein säuberlich aufgereiht an einer Hakenleiste hinter der Tür. Wie Anna angekündigt hatte, machten die Wäscherinnen Mittag. Bottiche mit eingelegter Wäsche standen auf Hockern. Der hinteren Wand entlang waren drei grosse Waschkessel eingemauert – einer davon war beheizt. Kleine Dampfkringel stiegen unter dem Holzdeckel hervor, und der Geruch von Seifenlauge erfüllte den Raum. An der anderen Wand waren Waschtröge zum Spülen und mit Wasser betriebene Wäschewinden aus

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