Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
Vom Netzwerk:
breitkrempigen Hut in Crème und Schwarz, der zu ihrem crèmefarbenen Mantel mit schwarzen Besätzen passte. Sie war die Erste, die sich nicht im Mindesten bemühte, verstohlen in die Remise zu gelangen.
    «Madame Gérard», entfuhr es Oberleutnant Ranke.
    «Oh, tun Sie nicht so erstaunt.» Madame Gérard schlenderte in die Remise und blieb mitten im Raum stehen. Frau Göweil würdigte sie dabei keines Blickes. «Dachten Sie wirklich, Frankreich würde diese Sache einfach so auf sich beruhen lassen? Nachdem unser Agent das Manuskript bereits gesehen hatte? Er hatte sich als Etagenkellner ausgegeben, um in die Suite zu gelangen. Leider konnte er es damals nicht in seinen Besitz bringen, da die Frau Professor zugegen war. Doch er sandte dem Deuxième Bureau und dem Bureau du Chiffre eine Beschreibung. Und das hier», sie hielt eine weitere auseinandergefaltete Flugmaschine hoch, «entspricht dieser Beschreibung in keiner Weise. Also, Monsieur Wyndham – warum diese ganze Scharade?»
    «Wollen Sie damit etwa sagen, dass Sie und Ihr Gatte für das Deuxième Bureau arbeiten? Was ist mit Ihren Töchtern?» Oberleutnant Ranke schien von diesem neuerlichen Beispiel französischer Perfidie komplett überfordert. Er blickte sich zu seinen beiden Kollegen um, doch die beiden Herren schienen ausser Ratlosigkeit nichts zu bieten zu haben.
    «Sie sind brave Mädchen und tun, was man ihnen sagt, auch wenn es ihnen gewiss keine Freude macht. ‹Tanze mit den Boches, wir müssen erfahren, was sie vorhaben› – und so tanzen sie», erklärte Madame Gérard mit einer Nonchalance, die ihn mehr als Häme erzürnen musste. Doch sie war noch nicht mit ihm fertig. «Im Übrigen waren wir nicht die Einzigen, die versuchten, über Amors Pfeil an die Chiffre zu gelangen.» Mit einem maliziösen Lächeln fügte sie hinzu: «Wir haben uns dabei wenigstens an die Gesetze der Sitte und Natur gehalten.»
    Der Oberleutnant zitterte vor Empörung. «Ich muss doch sehr bitten!»
    Doch Madame Gérard war mit ihm fertig. Sie blickte zu Christian. «Mein Gatte und ich waren überzeugt, dass Ihr Angebot nicht ehrlich gemeint ist, Monsieur Wyndham. Das ist der Grund, warum er jetzt gerade dabei ist, Ihre Suite zu durchsuchen. Nun, ich frage Sie nochmals, was tun wir hier?»
    Alle wandten sich Christian zu. Ruhig meinte er: «Ich wollte Sie alle gerne ein paar Freunden vorstellen.»
    Neben ihm raschelte es in einer der Kutschen, und die über die Ledersitze ausgebreitete Plane sank zu Boden.
    «Mister Derringer, Reporter des ‹Chicago Herald›, kennen die meisten von Ihnen bereits. Da er mit seiner Geschichte über die mörderischen Bergführer nicht weiterkam, habe ich ihm etwas Besseres versprochen. Der Gentleman an seiner Seite ist Ihnen ebenfalls bekannt: Mister Deveraux, seines Zeichens amerikanischer Konsul in Zürich. Er dürfte eine interessante Depesche nach Washington senden können. Und Henning, der Barkeeper des Splendid, ist einfach hier, weil er von Berufs wegen immer über alles Bescheid wissen muss.»
    Mister Derringer hielt grinsend einen kleinen Notizblock hoch. «Es war nicht einfach, im Dunkeln zu schreiben – aber der Aufwand hat sich gelohnt. ‹Liebe, Verrat und Tod: Agentenspiele im Grand Hotel – wie die europäischen Mächte sich gegenseitig befehden!› Und natürlich alles mit Namen und Beschreibungen der beteiligten Damen und Herren. Das ergibt ein ganz schöne Liste von dubiosen Tätigkeiten und Verbrechen: Verführung in allen Variationen, Einbruch, Brandstiftung und Mord.»
    Madame Gérard zeigte sich nicht weiter beeindruckt. Sie musterte den Reporter kühl und abwägend. Wahrscheinlich überlegte sie sich, welche ihrer Töchter bei ihm eher zum Ziel gelangen mochte oder ob sie die Angelegenheit gar selbst übernehmen sollte. Oberleutnant Rankes Untergebene hatten ihre Sprache wiedergefunden, sie redeten leise, aber heftig auf ihn ein.
    Frau Göweil zerrte an dem Band ihrer Pelerine und schleuderte das Kleidungsstück weit von sich. «Das werden Sie nicht wagen!» Ihre Stimme klang schrill. «Exzellenz, ich verlange, dass Sie diesen Schreiberling im Namen Ihrer Regierung an die Kandare nehmen. Das wird sonst internationale Konsequenzen haben.»
    «Als Erstes, werte Dame», begann der Konsul leutselig, «muss ich Sie darüber informieren, dass mein Land – im Gegensatz zu dem Ihren – die Pressefreiheit kennt. Und zweitens entstamme ich einem alten Südstaatengeschlecht, und nichts liegt mir ferner, als eine

Weitere Kostenlose Bücher