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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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verärgert und beschwerten sich in sämtlichen Sprachen Österreich-Ungarns. Es herrschte ein heilloses Durcheinander, denn die Herren hatten nicht nur ihre zum Teil recht schäbigen Koffer im Vestibül verteilt, sondern auch noch gleich ihre Instrumente mitgebracht.
    Anna stieg über einen phantastisch zusammengezimmerten Holzkasten, dessen Form ein Cello erahnen liess, und drängte sich an einem dürren Mann mit mausgrauem Schnauzer vorbei, der einen Violinkoffer umklammerte und in drängendem Ton auf einen Portier einredete, der kein Wort verstand, das Spektakel aber sichtlich genoss. Ein untersetzter Herr mit zerzaustem Haar gebärdete sich besonders empört. Er stand vor Herrn Ganz und fuchtelte dermassen herum, das es nicht schwierig war, seine Funktion im Orchester zu erahnen.
    Herr Ganz liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Als er Anna bemerkte, wandte er sich von dem schimpfenden Herrn mit einer Entschuldigung ab und trat zu ihr. «Die Musiker wollen partout nicht in der Dépendance logieren. Warum das so schlimm sein soll, weiss ich auch nicht. Es ist vor allem der Kapellmeister, der sich so echauffiert. Dabei hatte man ihnen nie Zimmer im Haus zugesichert.»
    Er warf einen Blick zu dem Herrn an der Réception, der inzwischen seine Arme verschränkt hatte und wütend zu Anna und Herrn Ganz herüberstarrte.
    «Warum sind sie denn schon hier?»
    «Sie behaupten, es wäre ein Missverständnis. Aber ich vermute, sie wollen einfach nicht zwischen zwei Engagements Kost und Logis zahlen.»
    Das war keine sehr nette Unterstellung, aber auch nicht ganz von der Hand zu weisen.
    «Nun, sie müssen sich mit der Dépendance zufriedengeben», sagte Anna. «Die Mädchen sind für die Festtage eh schon zusammengerückt, um für Zofen und Kindermädchen der Gäste Platz zu machen. Ich kann unmöglich von ihnen verlangen, jetzt auch noch für ein paar Tage ihre Zimmer zu räumen und in die Dépendance zu ziehen. Und die Saal- und Küchenleute sind eh schon über die Massen gereizt. Lieber stochere ich in einem Wespennest herum.»
    «Ich stimme Ihnen zu, das geht einfach nicht. Die Herren Musici müssen mit der Dépendance vorliebnehmen, und damit basta.» Er kehrte mit entschlossenem Gesichtsausdruck in das Getümmel zurück.
    An diesem Abend zog Anna sich früh zurück, holte ihr Notizbuch hervor und legte es vor sich auf den Schreibtisch. Sie hätte gerne alles aufgeschrieben, was sie heute erfahren hatte, doch sie wusste, das war keine gute Idee.
    Ob sie das Richtige tat? Sie konnte ihre Stellung verlieren und vielleicht sogar Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen; so genau wusste sie das gar nicht. Sie dachte an das Kichern und die verstohlenen Blicke. Und an das Eichhörnchen im Park, das sein Futter wollte. Mit einer energischen Geste klappte sie das Notizbuch zu und ging zu Bett.

Fauxpas
    «Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Frauen und Männer blosse Spieler.»
    Wie es euch gefällt – William Shakespeare, 1600 bzw. 1623
    Während Anna am nächsten Morgen ihre Haare hochsteckte, wunderte sie sich, wie Lieutenant Wyndham seine Cousine zu überzeugen gedachte, einer Fremden zu vertrauen. Auf ihrem Rundgang erhielt sie die Weisung, sich noch vor dem Frühstück bei Lady Georgiana Darby zu melden. Der Lieutenant hatte also keine Zeit verschwendet.
    Lady Georgiana öffnete die Tür. Sie trug ein Tageskleid aus schilfgrüner Seide mit hübschen, ein wenig militärisch anmutenden Goldlitzen und Knöpfen auf der Brust und an den Manschetten. Ihr Haar war noch nicht gemacht und hing in einem lockeren Zopf über die Schulter. «Miss Staufer, kommen Sie bitte herein.»
    Anna murmelte kaum hörbar: «Sehr wohl, Mylady.» Sie wusste nicht, was sie hier erwartete, und hielt es deshalb für besser, nicht mehr als nötig zu sagen.
    Die Lady hatte sich durchgesetzt, sie hatte eines der schlichteren Zimmer erhalten. Doch der einfache Raum hatte sich inzwischen verändert. Neben der Balkontür stand ein Strauss Rosen in einer chinesischen Bodenvase, ein Stück aus Herrn Birchers Villa. Ein Schrankkoffer, dessen Fassungsvermögen den Hotelschrank daneben beschämte, stand halb offen im Zimmer und liess eine Garderobe erahnen, welche die Mesdemoiselles Gérard erblassen lassen würde. Den Frisiertisch zierten Flakons, versilberte Bürsten und eine Schmuckschatulle. Auf dem Bett lag eine rosa gefütterte Schreibmappe mit einem angefangenen Brief.
    Lady Georgiana lehnte sich an die Marmorplatte des Frisiertischs und musterte

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