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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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der Medizin gegeben und dann nicht auf ihn aufgepasst!»
    «Nein, es war nicht Fräulein Staufers Schuld.» Das war das erste Mal, dass Anna den Offizierston des Lieutenants zu hören bekam. «Ich habe mich lediglich betrunken, wenn Sie es denn genau wissen müssen. Und da ich seit Monaten keinen Alkohol mehr zu mir genommen hatte, habe ich mich verschätzt. Und damit ist die Sache erledigt. So einen Aufstand will ich nicht noch einmal erleben.»
    «Es tut mir leid, Sir. Es wird nicht wieder vorkommen.»
    Jost tat Anna leid, weshalb sie darauf verzichtete, ihn wegen der Wasserlachen auf dem Parkett auszuschimpfen. Das war auch nicht nötig. Er hatte während seiner Entschuldigung zu Boden gestarrt und dabei das Schmelzwasser bemerkt, das aus seinen Stiefeln tropfte. «Herrje, keine Sorge, Fräulein Staufer, ich kümmere mich gleich um einen Lappen.» Er drehte sich um und machte möglichst grosse Schritte in Richtung Tür, um nicht noch mehr Schaden anzurichten.
    Als sie wieder alleine waren, sagte der Lieutenant: «Es ist besser so – glauben Sie mir.»
    Er klang müde, Anna konnte es ihm nicht verdenken. Wahrscheinlich hatte er letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen. Und vielleicht hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, Weihnachten so zu begehen, wie er Jost eben weisgemacht hatte. Nun, jetzt war Lady Georgiana da – aus was für Gründen auch immer. Vielleicht würde ihm das ein wenig helfen.
    Jost kam mit einem Lappen zurück und begann, das Wasser aufzuwischen. «Fräulein Staufer, irgendetwas Komisches geht vor sich. Ich konnte nirgends ein Zimmermädchen finden. Zum Glück war die Tür zur Besenkammer nicht abgeschlossen.»
    «Danke, Jost. Ich kümmere mich gleich darum.»
    Wenn bisher noch niemand Annas Abwesenheit bemerkt hatte, so würde es nun bald geschehen. Sie wandte sich dem Lieutenant zu. «Ich werde wegen der Tapete jemanden schicken. Der Schaden soll so schnell wie möglich behoben werden. Und ich kümmere mich darum, dass der Aufenthalt Ihrer Cousine hier im Haus so angenehm wie möglich verläuft.»
    Mehr konnte sie in Josts Anwesenheit nicht sagen. Zu ihrer Überraschung erhob sich der Lieutenant aus seinem Sessel und geleitete sie zur Tür.
    «Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Miss Staufer. Und frohe Weihnachten.»
    Anna hastete durch den verlassenen Gang. Die Gäste vergnügten sich wohl im Freien. Sie war zwar froh darüber, dass niemand gesehen hatte, wie sie aus der Suite kam, aber das Verschwinden des Personals um diese Tageszeit verhiess nichts Gutes. Der Etagenportier war nicht auf seinem Posten, weder ein Page noch ein Zimmermädchen war zu sehen.
    Sie hörte aufgeregte Stimmen aus dem Vestibül und ging zur Haupttreppe. Auf dem untersten Treppenabsatz waren Zimmermädchen, Portiers und Pagen versammelt und beobachteten das Geschehen an der Réception, wo sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet hatte. Unter den Köpfen, die sich eifrig über das Treppengeländer beugten, war auch Norberts Rotschopf zu erkennen.
    Anna brauchte nicht viele Worte, und das Publikum im Treppenhaus löste sich auf. Sie hielt Norbert zurück. «Auf ein Wort, junger Mann. Du hast vielleicht gehört, was der Direktor heute Morgen sagte, und denkst nun, ich hätte etwas Falsches gemacht, weil du mich vorhin gesehen hast.»
    Er riss seine blauen Augen auf, ein Sinnbild kindlicher Unschuld. «Ich weiss nicht, was Sie meinen, Fräulein Staufer. Ich habe Sie heute Nachmittag bis gerade eben noch nie gesehen.»
    Anna widerstand der Versuchung, ihm spasshaft seine Haare zu zerzausen, wie es die anderen Pagen gerne taten. «Sehr gut, du kannst es im Hoteldienst noch weit bringen. Vielleicht wirst du mal Concierge.»
    «Ich weiss nicht, Fräulein Staufer – da hat man manchmal doch ganz schön Ärger.» Er zeigte grinsend nach unten.
    Anna trat neben ihn und studierte den kleinen Auflauf genauer. Ein halbes Dutzend dunkel gekleideter Herren drängte sich an die Réception, einige redeten auf Herrn Ganz ein, andere unterhielten sich heftig gestikulierend miteinander.
    «Das sind die Musiker, die Herr Bircher für den Neujahrsball angeworben hat. Sie sind eine Woche zu früh hier.»
    «Was du nicht alles weisst. Du hast wirklich das Talent zum Concierge. Aber jetzt solltest du wieder an die Arbeit wie die anderen.»
    Anna machte sich auf den Weg nach unten, um zu sehen, ob sie Herrn Ganz helfen konnte. Direktor Bircher hatte sich nicht lumpen lassen und ein Orchester aus Wien angeheuert. Die Musiker klangen

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