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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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nicht, was er meinte. Und als ihr die Bedeutung seiner Worte dämmerte, wurde sie rot. «Bitte, können wir über etwas anderes reden?», brachte sie schliesslich hervor.
    «Natürlich.» Er kehrte hinter die Bar zurück und schenkte ihr ein Glas Selters ein. «Was würde Ihr Herz denn erfreuen? Der neueste Klatsch über die beiden Mesdemoiselles Gérard? Oder ob Mister Derringer seine Bergführer-Bande endlich gefunden hat?»
    «Nein, ich wollte eigentlich mit Ihnen über Oberleutnant Ranke sprechen.»
    Er wischte ein paar unsichtbare Tropfen von der blauen Siphonflasche und fragte, ohne dabei hochzublicken: «Was ist mit ihm?»
    Sie konnte sehen, dass ihm das Thema nicht behagte. Sie hatten noch nie über diese Dinge gesprochen, wie denn auch? «Ich glaube, er ist nicht ganz ehrlich mit Ihnen.»
    «Stauffacherin, wir sind bis jetzt so gut miteinander ausgekommen, weil Sie sich nie zu meinen Bekanntschaften äussern. Ich glaube, wir sollten es dabei belassen.» Er griff wieder nach seiner Liste.
    «Henning, ich fälle doch kein Urteil. Ich will nur nicht, dass Sie von ihm einen falschen Eindruck haben.»
    Er seufzte leise. «Glauben Sie mir, Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen. Was auch immer Sie gesehen oder gehört haben, es besagt nichts. Unsereiner muss ständig eine Fassade aufrechterhalten, den Schein wahren – wissen Sie, was es einen Mann wie den Oberleutnant kosten kann, wenn auch nur der Hauch eines Zweifels aufkommt? Nein, was immer er auch gesagt oder getan hat, selbst wenn er sich in der letzten Nacht mit der Gräfin Tarnowska verlobt hätte – es hat nichts zu bedeuten. Gar nichts.»
    Anna war ratlos. Henning war der Wahrheit bereits sehr nahe gekommen und doch nicht bereit zuzuhören. Und was hatte sie auch zu bieten ausser einer wilden Geschichte, über die er vielleicht nur lachen würde? Sie wollte es trotzdem nochmals versuchen, aber er hob abwehrend die Hand. «Lassen Sie es gut sein, Stauffacherin – ich bitte Sie!»
    Eben betraten Mister Derringer und Mister Deveraux lachend die Bar. Es blieb Anna nichts übrig, als zu gehen. Sie kontrollierte die Salons, doch Hennings mitleidige Worte wollten ihr nicht aus dem Kopf. Dass er die Unterstellungen des Patrons glauben mochte, machte ihr zu schaffen. War es vielleicht wirklich das, was sie zu all den rebellischen Verrücktheiten der vergangenen Tage angetrieben hatte? In einem unbeobachteten Moment holte sie ihr Notizbuch hervor und suchte jene Einträge, die von Unruhe und dem Gefühl des Gefangenseins sprachen, lange bevor sie Lieutenant Wyndham zum ersten Mal begegnet war. Aber sie war keine Närrin – der Lieutenant war für ihre ursprüngliche Unruhe vielleicht nicht verantwortlich, aber es mochte durchaus sein, dass seine Gegenwart diese Gefühle wie Licht in einem Brennglas bündelte und verstärkte.
    «Puh, ich hatte mir Eislaufen einfacher vorgestellt.» Lady Georgiana sass am Frisiertisch und wühlte in ihrer Schmuckschatulle. «Wahrscheinlich fehlt mir dazu einfach das Talent. Mein armer Instruktor hielt sich tapfer, aber ich konnte sehen, wie er von stummer Verzweiflung übermannt wurde. Deshalb habe ich mich schon bald vom Eis verabschiedet. Ich habe mich umgezogen und mein sittsamstes Kleid ausgewählt, in der Hoffnung, damit im Damensalon mehr Erfolg als gestern Abend zu haben. Aber ich scheiterte genauso kläglich wie zuvor auf dem Eis.»
    Sie schloss die Schatulle und hielt den Kopf gerade, damit Paget sich ihren Haaren widmen konnte. «Die alten Drachen haben nur über das Wetter geredet, solange ich im Salon war. Ich bin mir sicher, kaum war ich draussen, sind sie über mich hergezogen.»
    «Das tut mir leid, Mylady.» Anna konnte gut verstehen, warum Lady Georgiana so gar kein Erfolg beschieden war, aber sie hielt es nicht für angebracht, mehr dazu zu sagen. Lady Georgiana schien das auch nicht zu erwarten. Schweigend liess sie Paget ihr Werk vollenden. Dann drehte sie prüfend den Kopf hin und her. Auf einmal blickte sie im Spiegel zu Anna hoch und meinte unvermittelt: «Christian hat mir von dem Morphium erzählt, Miss Staufer.»
    Die Neigung zu abrupten Themenwechseln musste wohl in der Familie liegen. Anna wünschte sich, Lady Georgiana würde von etwas anderem sprechen. Doch Lady Georgiana fuhr bedrückt fort: «Ich würde gerne anbieten, Ihnen das abzunehmen – aber auf mich ist kein Verlass. Als sie ihm das Zeug im Hospital gegeben haben, war ich einfach nur froh. Es war furchtbar, ihn so zu sehen und ihm nicht

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