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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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Mädchen nicht verdenken, die Deutschen sind unverschämt gute Tänzer, vor allem dieser Oberleutnant Ranke.»
    Anna hoffte unbehaglich, dass diese Besprechung nun bald vorbei sein würde.
    Lady Georgiana begann, die Ergebnisse ihrer Bemühungen aufzulisten. Sie zählte an den Fingern auf. «Also, wir wissen jetzt, dass Frau Göweil entweder verrückt oder sehr raffiniert oder beides ist. Dass die Gräfin Tarnowska einen heimlichen Liebhaber hat. Dass Mister Derringer wohl nie die Wahrheit über die mörderischen Bergführer herausfinden wird. Und dass Musik tatsächlich völkerverbindend ist.»
    «Vergiss bitte nicht, dass schwedische Ingenieure sich durch nichts von ihrer Berufung abhalten lassen.»
    Lady Georgiana warf ihrem Cousin einen nicht gerade freundlichen Blick zu. «Wie es scheint, bleibt uns tatsächlich nichts anderes übrig, als abzuwarten, was als Nächstes geschieht. Nun, immerhin bist du nicht mehr der einzige Lockvogel. Nachdem nun alle Welt weiss, dass ich deine Cousine bin, werde ich vielleicht bald einen Verehrer haben, der sich allerdings mehr für dein als mein Schlafzimmer interessieren dürfte.» Nach dieser schockierenden Äusserung erhob sie sich und schlüpfte in ihren Cardigan. «Aber dazu muss ich mich der Welt schon zeigen. Ich habe beschlossen, Eislauf-Lektionen zu nehmen. Das wird bestimmt spassig.»
    «Oder du holst dir ein paar blaue Flecken. Sei vorsichtig – und damit meine ich nicht nur das Eis.»
    «Ich weiss, mein Lieber, mach dir keine Sorgen.» Sie küsste ihn auf die Wange, nickte Anna zum Abschied zu und drehte beim Hinausgehen auf dem Parkett eine Pirouette.
    Christian blickte Georgiana kopfschüttelnd nach. Miss Staufer hatte sich ebenfalls erhoben. Sie wirkte, so plötzlich mit ihm allein gelassen, verlegen, und sie sah bedrückt aus. Aber das war wohl angesichts all der Unruhe, die Georgiana und er in ihr Leben brachten, nicht weiter verwunderlich. Er dachte an ihre verweinten Augen im Park und an Ammanns unbedachte Worte. Es hatte in ihrem Leben schon zuvor Unruhe gegeben.
    «Ammann hat mir erzählt, dass Sie gerne lesen», sagte er vorsichtig.
    Sie nickte nur. Hoffentlich hatte er seinen Valet nicht gerade in Schwierigkeiten gebracht. Er fuhr fort: «Aber so wie Sie das Lesezimmer eingerichtet haben, hätte ich auch von alleine darauf kommen können. Ich habe Ihnen noch gar nicht dafür gedankt.»
    «Das ist meine Aufgabe.»
    Er konnte sehen, wie widerstreitende Gefühle in ihr kämpften: die Pflicht zur Distanz und die Neugier auf seine Bücher. Ob sie eigentlich wusste, wie faszinierend ihr Gesicht war, wenn sich diese Risse in der Maske zeigten?
    «Ich wollte hier eigentlich Gedichte aus dem Japanischen übersetzen, deshalb die vielen Bücher. Es ist eine schwierige Sprache; ein Zeichen kann viele verschiedene Bedeutungen haben, mit denen die Dichter auch spielten, weil sie wussten, dass die gebildeten Leser diesem Spiel folgen konnten.» Er zeigte auf das Bild der Dame Ono no Komachi. Die meisten Betrachter bewunderten die Komposition der prächtigen Gewänder, doch das war nicht der Grund, warum der Holzschnitt in seinem Besitz war. «Diese Dame und ihre Gefährtinnen haben die Kunst der Vieldeutigkeit besonders gut beherrscht. Man kann ihre Gedichte in vielen Variationen übersetzen, und jede wird ihre eigene Schönheit und Berechtigung haben.»
    Miss Staufer schien noch immer mit sich zu kämpfen. Sie spielte mit dem Verschluss des kleinen Lederbeutels an ihrem Gürtel. «Dann ist das ein bisschen, wie chiffrierte Texte zu entschlüsseln?»
    Sogar wenn sie in Bedrängnis war, schaffte sie es noch, ihn zu überraschen. «Ja, das könnte man so sagen.» Er stand auf und griff nach der blauen Mappe auf dem Pult. Ihr sehnsüchtiger Blick am Vortag war ihm nicht entgangen. «Möchten Sie vielleicht einmal ein paar meiner Übersetzungen mitnehmen und lesen?»
    Sie trat einen Schritt zurück. «Vielen Dank, aber das geht nicht.» Die Gouvernante hatte wieder die Oberhand.
    «Doch, das geht.» Er zeigte auf ihren Gürtel, wo sie immer noch das silberne Etui für ihn verwahrte, und trat auf sie zu. «Betrachten Sie es als meine Art, Ihnen dafür zu danken.»
    Sie streckte zögernd die Hand aus, doch er zog die Mappe spielerisch zurück. «Es sei denn, Gedichte zu lesen, wäre für Sie eine Strafe.»
    Das brachte ihm endlich ein kopfschüttelndes Lächeln. Sie griff nach der Mappe.
    Es klopfte an der Tür, und Ammann betrat die Suite, um das Frühstück

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