Chili und Schokolade
mehr.
Frustriert schiebe ich nach einer halben Stunde den fertigen Teig in den Ofen und erkläre meine Grübeleien für beendet. Dann werde ich mich eben glücklich futtern! Und wenn ich dabei aufgehe wie ein Hefezopf und meine Kleidergröße von achtunddreißig auf achtundvierzig wächst, ist es mir auch egal. Konrad schaut mich ja sowieso nicht mehr an.
Das Klingeln des Handys stört meine trübsinnigen Gedanken. Auf dem Display sehe ich Ullas Namen.
«Hallo, Evelyn. Wie geht’s dir?» Ihre Stimme klingt gewohnt fröhlich.
Für meine Gemütsverfassung hat sich schon lange niemand mehr interessiert. Unbeabsichtigt entfährt mir ein viel zu tiefer Seufzer: «Nicht so gut, heute ist einer von diesen Tagen, an denen ich am liebsten … ach, nicht so wichtig … Ich sitze gerade in einem ausgebeulten Hausdress auf dem Sofa, warte auf die glücklich machende Wirkung von Schokokuchen und hoffe auf bessere Zeiten.»
«Ach, das kenne ich», antwortet sie verständnisvoll. «Wenn es so grau und trüb ist wie heute, bin ich auch oft mies drauf. Du hast wahrscheinlich schlicht und einfach einen Moralischen. Dagegen hilft nur die Aussicht auf einen Blödsinn-Abend!»
«Blödsinn?», frage ich befremdet. «Dieses Wort ist seit der Kindheit der Zwillinge völlig aus meinem Vokabular verschwunden.»
Ulla amüsiert sich hörbar. «Na, dann wird’s Zeit, dass du es wieder in deinen Sprachschatz aufnimmst! Hey, warum kommst du mit deinem Schokokuchen nicht hierher, und wir tauschen Rezepte aus», schlägt sie vor. «Ich würde dich nämlich gerne etwas fragen.»
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10
An der Tür erwartet mich eine strahlende Ulla ohne Krücke. Erfreut stelle ich fest, dass sie auch keinen Verband mehr trägt.
«Schau!» Sie streckt mir ihren Fuß entgegen, zieht das Hosenbein ihrer rosa Jeans hoch und wackelt mit den Zehen. «Der dunkellila Fleck ist nur noch ein Schatten. Aber komm erst mal rein. Ich hab Nudelteig vorbereitet, dazu gibt’s mein Lieblingspesto aus getrockneten eingelegten Tomaten, Mandeln und Chili. Von Kuchen alleine kann keiner glücklich werden.»
Kurz darauf stehen wir in der Küche, krempeln unsere Ärmel hoch und beginnen mit der Zubereitung. Im Hintergrund trällert Shakira ein Lied über die Liebe.
Ulla kippt die in Öl eingelegten Tomaten in eine Schüssel, wirft eine klein geschnittene rote Chilischote dazu, schüttet gemahlene Mandeln darüber und nimmt dann den Pürierstab zur Hand. Von Mixgeräuschen überdeckt fragt sie neugierig: «Du machst also nie einfach mal Blödsinn?»
«Wie meinst du das denn?»
Sie schaltet den Mixstab aus, holt den Teig sowie ein Stück Parmesan aus dem Kühlschrank und reicht mir den Käse. «Würdest du den reiben und zum Pesto geben?»
Während ich nach der bereitstehenden Reibe greife, angelt Ulla ein Nudelholz aus dem Schrank und klärt mich auf. «Na, etwas anstellen oder unternehmen, was du unter normalen Umständen nie tun würdest.» Spielerisch verteilt sie eine Hand voll Mehl auf der Arbeitsfläche und dem Nudelholz und bearbeitet dann den Teig gefühlvoll mit den Händen. «Also gut, ein Beispiel: Wenn ich ohne besonderen Grund schlechte Laune habe, dann genügt mir auch die Schokokuchentherapie. Für alle anderen Gemütskatastrophen habe ich eben diese Blödsinn-Tage eingeführt, an denen ich mir blödsinnige Wünsche erfülle oder blödsinnige Dinge anstelle.»
«Wann hattest du zuletzt so einen Tag? Und was hast du da gemacht?», frage ich gespannt.
Vorsichtig faltet sie den fertig ausgerollten Teig wie eine Ziehharmonika zusammen und legt ihn auf ein Brett, das sie zu mir schiebt. «Der Teig muss jetzt in zwei Zentimeter breite Streifen geschnitten werden. Ich roll hier in der Zwischenzeit weiter aus. Also, mein letzter Blödsinn: Das war, als mir der Typ von dieser Begleitagentur einen Kurs für Erotikmassagen empfohlen hat. In dem Moment hab ich erst geschnallt, was da tatsächlich abläuft. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie frustriert ich über meine eigene Dummheit war. Doch dann habe ich mich sorgfältig geschminkt, mir meine schicksten Klamotten geschnappt und mich mit dem letzten Verdienst der Agentur für ein Wochenende in eine Suite im ‹Bayrischen Hof› eingemietet.»
Das hört sich für mich nicht nur richtig blödsinnig an, auch den tieferen Sinn dahinter verstehe ich nicht. Begriffsstutzig wie bei dieser peinlichen Marktforschung möchte ich jedoch nicht wirken, deshalb konzentriere ich mich jetzt ganz aufs
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