Chili und Schokolade
ist im Moment mein einziger Lichtblick in meinem vollkommen ergrauten Alltag.
Die erste Begegnung mit Herrn Keller am Montagmorgen ist allerdings höchst unerfreulich.
«Guten Morgen, Frau Meyer. Gut, dass ich Sie erwische», grüßt er und fragt zum wiederholten Male nach der leidigen Lohnsteuerkarte.
Merde alors!, die habe ich ja völlig vergessen – oder verdrängt?
«Äh, ja, Ihnen auch einen guten Morgen», wünsche ich verlegen und entschuldige mich für das Versäumnis. Ich verspreche ihm, die Unterlagen so schnell wie möglich zu besorgen, und eile in die Küche.
Als ich den Raum betrete, stellt Gerlinde besorgt fest: «Nanu, du bist aber heute blass um die Nase, Evelyn. Werd mir bloß nicht krank!»
«Nein, nein, keine Sorge», beruhige ich sie.
Ihrem prüfenden Blick nach glaubt sie mir aber nicht. «Na, wer weiß, ob du dir nicht was eingefangen hast. Um diese Jahreszeit geht das ruck, zuck. Dagegen werden wir gleich mal prophylaktisch was tun. Heute Mittag gibt’s Hühnersuppe!», ordnet sie an und schickt Roswitha in den Kühlraum, um fünf Hühner zu holen. «Wir sind hier übrigens alle gegen Grippe geimpft. Das würde ich dir auch empfehlen, Evelyn. Wir wollen unsere Bewohner doch nicht anstecken!»
«Selbstverständlich nicht», stimme ich zu, verspreche, das gleich am Nachmittag zu erledigen. Dann mache ich mich an die Zubereitung der Grießnockerln für die Suppe.
Gerlindes Warnung noch im Ohr, verlasse ich nach Beendigung meiner Arbeit das Haus und fahre direkt in die Praxis unseres Hausarztes. Vielleicht kann ich ja auch ohne Termin drankommen. Schließlich lassen wir seit vielen Jahren alle unsere großen und kleinen Wehwehchen dort behandeln. Soweit ich weiß, werden Grippeimpfungen ja auch von den Sprechstundenhilfen verabreicht.
«Evelyn, wie schön, dich zu sehen», begrüßt mich Gideon, nachdem er mich schnell dazwischengeschoben hat.
Gideon Lenz ist ein smarter Mittfünfziger, den ich seit meiner Schulzeit kenne. Man könnte sagen, dass ich unseren Hausarzt mit in die Ehe gebracht habe. Vor seiner Scheidung waren er und seine Frau oft bei unseren Dinnereinladungen zu Gast, doch als Single wollte Konrad ihn nicht mehr einladen.
«Alles in Ordnung?», erkundigt er sich und fragt auch nach Konrad und dem Studium der Zwillinge.
Während er mir die Grippeimpfung verabreicht, erkundige ich mich nach seiner jüngsten Anschaffung.
«Ich wollte dir übrigens noch zu deiner neuen Wohnung gratulieren. Konrad hat mir davon erzählt. Die Schlüsselübergabe hat hoffentlich geklappt? Wann wirst du denn umziehen?», frage ich neugierig.
Verdutzt sieht er mich an: «Äh … umziehen? Wie kommst du auf die Idee, Evelyn?»
Gespannt hört sich Gideon die Schlüssel-Geschichte an.
«Also, ich versichere dir, Evelyn, ich habe keine Wohnung gekauft. Und im Urlaub war ich schon seit über einem Jahr nicht mehr. Bestimmt handelt es sich um ein Missverständnis», meint er dann beschwichtigend und bringt mich noch zur Tür.
«Sicher», stimme ich müde lächelnd zu und verabschiede mich. Ich weiß, dass mein alter Freund versucht, die Sache zu verharmlosen. Aber ich spüre instinktiv, dass es sich nicht um ein banales Missverständnis handelt, sondern um das Schlimmste überhaupt: Betrug!!!
Plötzlich passt alles zusammen: Konrads viele Überstunden, seine wechselhaften Launen und letztlich der fremde Schlüssel. Einen Herzanhänger kann man nicht missverstehen: Es muss der Schlüssel zur Wohnung seiner Geliebten sein! Warum sollte mir Konrad sonst so eine Lügengeschichte auftischen? Wahrscheinlich ist es dieses blonde Gift vom Empfang. Das alberne Flirten am Telefon, und wie sie den Schlüssel ganz selbstverständlich in Empfang genommen hat … Ihr Verhalten war mir sofort verdächtig.
Konrad hat eine Affäre! Als ich wieder im Auto sitze, wird mir das Ausmaß der Katastrophe schlagartig bewusst. Ich fühle mich, als wäre meine Welt wie bei einem Erdbeben eingestürzt und ich läge unter den Trümmern. Unsere Ehe war ja eigentlich noch recht glücklich. Ein paar Schwierigkeiten sind nach über zwanzig Jahren Ehe schließlich keine Seltenheit, oder? Was habe ich bloß falsch gemacht? Habe ich Konrad nicht genügend beachtet? Bin ich eine nachlässige Ehefrau?
Ein Gefühl aus Hitze, Panik und Übelkeit steigt in mir hoch. Verzweifelt wühle ich im Handschuhfach nach dem Sprühfläschchen
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und neble mich zitternd damit ein. Ich muss versuchen, ruhig zu werden. Doch es
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