Chili und Schokolade
Konrads Kreditkarte. Ein leerer Tank ist schließlich ein echter Notfall.
Kurz vor Mitternacht komme ich zu Hause an. Alles ist dunkel. Unfassbar, sollte dieser gemeine Betrüger etwa bereits seelenruhig schlafen? Erst als ich sehe, dass sein Wagen nicht in der Garage steht, erinnere ich mich, dass er ja die ganze Woche unterwegs ist.
Mein Nachtlager schlage ich dennoch im Kinderzimmer auf. Nie wieder werde ich mich neben diesen miesen Ehebrecher ins Bett legen!
Schlafen kann ich aber nicht. Wahrscheinlich ist er gar nicht auf der Baustelle, überlege ich und wälze mich unruhig in den Kissen. Wer weiß, ob Architekten in Zeiten von Computer und Internet überhaupt noch ihre Baustellen betreten. Mittlerweile glaube ich gar nichts mehr. Außerdem bin ich ja seit einer Ewigkeit raus aus der Branche und habe keine Ahnung, wie sich die Abläufe verändert haben. Vielleicht kann Konrad ja schon längst vom Schreibtisch aus
bauen
, überlege ich, und dabei fällt mir ein, dass seine Schuhe immer wie frisch geputzt aussehen. Ob das große Projekt in Düsseldorf überhaupt existiert? Vielleicht erfindet Konrad regelmäßig auswärtige Baustellen. Auf diese Weise könnte er tagelang unterwegs sein, ohne meinen Verdacht zu erregen. Und in Wahrheit liegt er im Bett einer anderen Frau!
Gequält von unzähligen Fragen und Vermutungen verbringe ich eine schlaflose Nacht. Gegen drei Uhr morgens fällt mir zu meinem Kummer auch noch die leidige Lohnsteuerkarte für das Seniorenstift ein. Wenn ich die heute nicht bei Herrn Keller abliefere, wird er mich nicht länger beschäftigen können. Das hat er bereits verärgert angedeutet.
Mein Leben zerbröselt wie eine Scheibe Knäckebrot!
Gegen fünf Uhr morgens halte ich es nicht länger im Bett aus. Zerschlagen schleppe ich mich ins Bad und verbringe eine halbe Stunde unter der Dusche. Normalerweise dauert mein morgendliches Pflegeprogramm höchstens fünfzehn Minuten. Heute benötige ich eine volle Stunde.
Kein Wunder, dass ich deshalb auch zu spät zur Arbeit komme. Sogar später als Roswitha. Das habe bisher noch niemand geschafft, behauptet jedenfalls die kecke Küchenhilfe und wirkt beeindruckt.
«Heiliger Magerquark!», schnauft Gerlinde, als sie mich erblickt. «Du siehst ja wie ausgespuckt aus. Hat es dich also doch erwischt!»
Schniefend entschuldige ich mich zuerst für die Verspätung und mache dann die Grippeimpfung für mein Aussehen verantwortlich. «Mein Arzt meinte, dass der Körper eventuell mit erhöhter Temperatur reagieren kann.»
«Wenn’s dir wirklich so schlecht geht, kannst du natürlich heimgehen, Evelyn», bietet Gerlinde fürsorglich an. «Das solltest du sogar, damit du hier niemanden ansteckst.»
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, lehne aber dankend ab. «Es sieht schlimmer aus, als es ist», versichere ich. «Sobald ich mich warm gearbeitet habe, wird es bestimmt besser. Was gibt’s denn heute zu tun?»
Gerlinde nimmt den Tagesplan zur Hand, liest die Gerichte für das Mittagessen vor und fügt hinzu: «Außerdem haben wir einen neunzigsten Geburtstag zu feiern. Die Jubilarin bekommt Besuch von ihrer Verwandtschaft und wünscht sich eine Sachertorte.»
«Oh, darf ich die backen?», frage ich und verspreche, mir die allergrößte Mühe zu geben. «Die ist nämlich auch eine meiner Lieblingstorten.»
Aber schon während des Abwiegens der Zutaten komme ich wieder ins Grübeln. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Immer wieder gehen mir die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf. Es gab so viele Zeichen, die ich offensichtlich alle nicht bemerkt habe.
Konrad hätte mich doch direkt in die Praxis schicken können, wenn dieser Schlüssel tatsächlich zu Gideons neuer Wohnung gehört hätte. Wir sind schließlich gute Freunde. Warum also der Umweg über das Meyersche Büro?
Egal, wie ich es drehe und wende, es gibt nur eine plausible Erklärung: Mein Mann hat eine Geliebte! Wie lange betrügt und belügt er mich schon? Wochen? Monate? Jahre? Warum hält er überhaupt noch an unserer Ehe fest? Missbraucht er mich als billige Haushälterin und Köchin für seine Gäste? Warum habe ich keinen Verdacht geschöpft? Wollte ich es nicht wahrhaben? Warum habe ich immer und immer wieder Erklärungen für seine Launen gefunden?
Am Ende dieser Gedankenqual habe ich keine Antworten gefunden – aber den Geburtstagskuchen verbrennen lassen. Merde! So etwas ist mir noch nie passiert.
Gerlinde ist alles andere als erfreut. Schnell biete ich an,
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