Chill Bill (German Edition)
heißt, mehr als die Hälfte ist weg.«
»Jo, und bis gerade habe ich mich gewundert, wohin das ganze Geld verschwindet.«
»So viel habe ich den Frauen nun auch wieder nicht gegeben!«
»Den Nutten«, verbesserte Vincent und öffnete den Koffer, den er mitgebracht hatte. Drinnen gähnte die Leere. 1500 Dollar und die kleinen Scheine war alles, was er finden konnte.
Am Abend brannte im Yachthafen ein Boot aus. Die Polizei nahm den Fall unter Brandstiftung und Diebstahl auf, denn ein Zeuge hatte aus sicherer Entfernung beobachtet, dass sich vor Ausbruch des Brandes ein paar junge Männer auf dem Boot gründlich umgesehen hatten. Der Besitzer des Bootes, ein gewisser Arnoldo Rebeiro, konnte zunächst nicht informiert werden.
5. TEIL
Die menschliche Seele nimmt teil an der göttlichen Vernunft.
(Heisenberg: Der Teil und das Ganze)
MATO GROSSO DO SUL
Gott hat Rio – der Legende nach – am siebten Tag erschaffen, wo er besonders viel Zeit hatte und sich auch besonders viel Mühe gab. Die Indianer Amazoniens erzählen sich, Gott schlafe oder müsse betrunken sein, denn anders können sie sich das Elend und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht erklären. Wenn beides stimmt, muss Gott auf dem Weg von Rio zu den Indianern des Amazonasbeckens im Suff noch ein paar Gegenden erschaffen haben.
Und so kommt es wohl, dass jetzt dort nichts so ist, wie es sein sollte. An einigen Stellen liegen kiloweise Diamanten herum, an anderen gibt es nichts als heißen Wind und nordwestlich des zehnten Breitengrades steht alles unter Wasser. Sobald man von der Küste kommend auf dem Weg nach Bolivien den Rio Paraná überquert, fällt die Einwohnerzahl von 126 pro Quadratkilometer auf ganze 5, und das ist noch viel, wenn man bedenkt, dass es dort auf einer Fläche von 500 mal 500 Quadratkilometern nur eine Handvoll sogenannter befestigter Straßen gibt und eine einzige Eisenbahnlinie.
Wenn sich ein Tourist in diesen Bereich Brasiliens verirrt, freut er sich über die Nostalgiezüge, die auf der dortigen Strecke verkehren, bis er bemerkt, dass es gar keine modernen Züge gibt. In Wahrheit war die Eisenbahn hier vor hundert Jahren schneller und moderner als heute.
Sobald man aus dem industrialisierten São Paulo heraus ist und die ganzen anderen Sãos hinter sich gelassen hat, die hier so zahlreich sind, dass den Autofahrer eine milde Ehrfurcht überkommt, fängt man an sich zu wünschen, Gott möge noch einmal zurückkommen und das Land zu Ende erschaffen.
Die Gegend, durch die Rebeiro und Acht-Zehen-Joe fuhren, war durch ihren Reichtum an Soja arm geworden. Man orientierte sich am besten an Stahltanks und Bohnensilos. Rebeiro hatte den richtigen Riecher gehabt. Er klapperte alle Krankenhäuser ab, die an der Flugroute von Luis und Felipe lagen, und erkundigte sich scheinheilig nach seinem Bruder, der angeblich mit einem Freund auf einem Geländemotorrad unterwegs gewesen und nun schon seit ein paar Tagen überfällig sei. Im Bezirkskrankenhaus von Três Lagoas wurden sie fündig.
Felipe lag dort in einem der Betten und redete von morgens bis abends mit den Heiligen. Wenn man ihn ansprach, unterbrach er diese Gespräche und sagte: »Luis war mein Freund.«
Es war nichts anderes aus ihm herauszubringen.
Rebeiro strich ihm sanft die Haare aus dem Gesicht und sagte mit zuckersüßer Stimme: »Luis
ist
dein Freund! Wir alle sind deine Freunde. Ich bin dein Freund, Felipe! Hör zu, Felipe, wo ist die Maschine?«
»Luis …« Felipe schaute sich im Krankenzimmer um, als sähe er es zum ersten Mal. »… war mein Freund.«
»Ja, Luis war dein Freund. Luis ist okay. Ich bin’s, Rebeiro! Sag mir, wo die Maschine ist!«
»Luis war mein Freund.«
Sie spielten das Spiel eine Weile zu dritt. Dann ging die Schwester und Rebeiro veränderte die Spielregeln, indem er Felipe schlug, aber es half nicht.
»Luis war mein Freund«, war alles, was er zu hören bekam.
Luis war nicht mehr da. In Três Lagoas hatte es diese Gasexplosion der
Petrobras
gegeben. Mehr als ein Dutzend Leute hatten Verbrennungen erlitten, den Fahrer und drei Indios hatte es übel erwischt. In Três Lagoas konnte man sie nicht angemessen behandeln. Daraufhin hatte die
Petrobras
ihren guten Willen bewiesen, indem sie einen Krankentransport organisierte, um die schwerer Verletzten nach São Paulo zu bringen. Luis, dessen Kopfverletzung sich als nicht ganz unkompliziert erwiesen hatte, wurde mit dem selben Krankentransport in ein Militärlazarett nach São Paulo
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