Chill mal, Frau Freitag
aber oft mit den Nerven runter und ständig müde. »Was soll denn aus denen werden?«, fragt mich die Deutschlehrerin. »Aus deiner Klasse wird keiner auch nur den Hauptschulabschluss machen. John vielleicht, wenn er sich anstrengen würde, aber der fängt ja jetzt auch schon an zu schwänzen. Und Lady Gaga und Madonna, wenn die mal noch Friseusen werden.«
Ich sage: »Stimmt, die machen nicht gut mit im Unterricht, aber irgendwie glaube ich schon, dass aus denen noch was wird. Die haben nur andere Interessen. Hast du mal gesehen, wie toll Tupac tanzt? Und der kann sogar freestylen, das ist gar nicht so leicht.«
»Ach, hör mir auf mit diesem Tupac, ich will unbedingt Frau Shakur beim nächsten Elternsprechtag sehen.«
Alle meckern über meine Schüler, aber ich glaube trotzdem, dass aus denen noch was wird. Auch ohne Abschluss.
Heute saßen weder Iggy Pop noch Kurt Cobain und nicht mal Lady Gaga in meinem Unterricht. Nur die üblichen Verdächtigen. Yusuf aus der Achten wieder direkt vor mir, laut rappend.
»Sch!« Er reagiert nicht. »Yusuf, bitte nicht rappen.« Nach ein paar Minuten Stille rappt er weiter.
»Yusuf! NICHT RAPPEN!«
»Ich rappe nicht. Machmuts Oma rappt.« Auf Machmut wird immer rumgehackt. »Machmuts Oma rappt mit DJ Azab.«
»Seine Oma rappt mit deinem Opa«, flüstere ich kraftlos vor mich hin. Ich bringe keine pädagogische Moralpredigt mehr zustande.
»Mein Opa? Mein Opa befriedigt seine Oma«, antwortet Yusuf.
Jetzt reicht es. Ich gebe ihm meinen strengsten Blick. Nonverbal muss auch mal gehen.
Er wird unsicher. »Ich meine, also, ›befriedigen‹ kann doch auch was anderes heißen. Also, das kann doch heißen, dass er sie mentalisch befriedigt, indem er sie ermutigt, dass sie so gut rappt.«
»Mentalisch befriedigt? Na ja, wenn du meinst.« Er beugt sich über sein Blatt und arbeitet den Rest der Stunde ruhig vor sich hin, ohne zu rappen. Ich zähle die Minuten bis zum Klingeln.
Sosehr ich den Kunstunterricht liebe, weil man da immer über alles Mögliche mit den Schülern quatschen kann, so sehr genieße ich auch den Englischunterricht, weil man eben nicht ständig über alles Mögliche quatscht.
Empfehlenswert für eine gut funktionierende Englischstunde sind Hörverstehensaufgaben. Kopien ziehen, CD ausprobieren, hinsetzen, auf die Schüler warten, fertig ist die Unterrichtsvorbereitung.
Am Stundenbeginn fängt man damit an, dass man die folgenden 45 Minuten als weltveränderndes Lernerlebnis verkauft. Jeder soll alleine an einem Tisch sitzen. »Verhaltet euch mal so, als wäre das jetzt eure Abitursprüfung oder euer Staatsexamen. Alles vom Tisch, Stift raus und gut zuhören.«
Dann setzt man sich hin, lauscht der CD und malt mit den Schülern gemeinsam die Kreuzchen in die Multiple-Choice-Aufgaben. Oben aufs Blatt schreibe ich LÖSUNG und fertig ist der Kontrollbogen. Da die Schüler zuhören müssen, ist es total still im Raum und man hört nur das Gelaber von der CD.
Bei der letzten Aufgabe spricht ein irisches Mädchen. Die Stimme ist quakig und bricht ständig weg. Den Schülern scheint das gar nicht aufzufallen. Ich muss innerlich grinsen. Wie redet die denn? Reden die in Irland alle so? Merken die Schüler das gar nicht? Ich gucke hoch, alle sitzen total konzentriert über ihren Arbeitsblättern, lauschen und kreuzen an. Warum lacht keiner über diese Stimme? Die ist doch total komisch.
Ich möchte die Stimme nachmachen. Wäre bestimmt ein Brüller. Aber dann kommen die Schüler aus dem Takt. Die wollen doch die Aufgabe erledigen, und wenn alle lachen, dann können sie bestimmt ein oder zwei Kreuzchen nicht machen. Ich unterdrücke den Impuls. Fällt mir echt schwer. Manchmal wäre ich wirklich lieber Schülerin, ich hätte so eine geile Parodie dieser Irin abgeliefert, meine Mitschüler hätten am Boden gelegen.
Was Trümmerfrauen?
Heute, in der einzigen Stunde, in der meine Schüler etwas bei mir gelernt haben, kam eine interessante Diskussion auf. Vorweg: Abgesehen von den Hörverstehensstunden finden die wenigen wirklich wirkungsvollen Stunden in Kunst statt. Denn wenn sie so friedlich vor sich hin pinseln, kommen die Schüler immer mit Themen, die sie interessieren. Dann wird diskutiert, erklärt und wahrscheinlich auch gelernt.
Heute wurde es mal wieder politisch. Einen Schüler hatte ich gerade zum Kanzler von Deutschland ernannt: »Also, Ufuk, du sagst also, dass dein Freund ausziehen durfte, obwohl er noch nicht fünfundzwanzig ist, und alles wird
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