Chill mal, Frau Freitag
Wochenende!«
Tausend Nutten
Frau Dienstag erzählt mir, dass sie neulich zwei Jugendliche im Bus belauscht hat. Der eine fragte: »Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass du nur noch ein Jahr zu leben hättest?«
»Ich würde alle Drogen ausprobieren, die es gibt, Einbrüche machen und tausend Nutten ficken. Und du?«
»Ich würde Leute töten, um mal zu sehen, wie das ist.«
»Was sagst du denn dazu?«, fragt mich Frau Dienstag.
»Na, ich würde sagen, dass die dann wahrscheinlich ihr letztes Jahr im Gefängnis verbringen. Und dass man ihre Eltern anrufen und ihnen sagen sollte, dass sie ihre Idiotensöhne auf keinen Fall von deren todbringender Diagnose unterrichten sollen.«
Aber was würde man wohl machen, wenn man nur noch ein Jahr hätte? Leute töten – tzzz. Ich glaube, ich könnte ganz gut ohne diese Erfahrung sterben. Tausend Nutten ficken – na ja, bräuchte ich wahrscheinlich auch nicht. Würde ich noch weiter zur Arbeit gehen? Wahrscheinlich. Lange Projekte gäbe es aber nicht mehr. Zu intensive Vorbereitung – lohnt sich dann auch nicht mehr. Ich frage den Freund, was er machen würde. Seine Antwort: »Gar nichts.«
»Gar nichts?«
»Ja, gar nichts, das ist doch der größte Luxus.«
Gar nichts … Luxus? Gar nichts – das alleine wäre ja schon mein Tod. Das kann ich doch auch in den Ferien haben. Davor graust es mir doch immer. Bei so morbiden Gedanken kommt man immer wieder zu dem gleichen Schluss: Man sollte das Leben einfach mehr genießen. Jeden Tag und jede Minute. Alles intensiv erleben und auskosten. Vielleicht auch nicht jeden Abend auf der Couch abgammeln. Und heute ist doch die beste Gelegenheit. Heute ist Montag, der 1. Mai.
Fräulein Krise sagt: »Grauenhaft, dass ist ja wie zwei Sonntage.« Ich sage: »Super, ich muss was erleben, ich werde mir gleich mal eine schöne Nazidemo raussuchen.«
John Lennon ist Klassensprecher
Ich möchte den Sänger der Easybeats in meiner Klasse haben. Der soll direkt vor meiner Nase sitzen und grinsen. Lernen bräuchte der nicht. Ab und zu tanzen würde reichen. Neben ihm sitzt der Folk-Sänger Tim Hardin. Chronisch traurig, weil er ständig Liebeskummer hat. Schon in der 9. Klasse schreibt er: »How can we hang on to a dream?« Das Lied schreibt er für die schwedische Austauschschülerin Agnetha, in die er seit fast einem Jahr verliebt ist, die aber nichts von ihm wissen will. Ich mag Tim, obwohl ihn die anderen immer ärgern. Er ist sehr introvertiert, aber nett.
Direkt hinter ihm sitzen Iggy Pop und David Bowie. Iggy tritt von hinten immer gegen Tims Stuhl. Überhaupt stört Iggy oft den Unterricht – schweres ADHS. David B. macht manchmal mit, aber meistens stachelt er Iggy nur zum Stören an, lacht über seine Späße und hält sich sonst zurück. David ist ein wenig hinterhältig und ein Zensurenschleimer.
Hinter Iggy und David sitzen Lady Gaga und Madonna. Beide passen überhaupt nicht auf. Sie schminken sich die ganze Zeit, quatschen oder schreiben Briefchen. Lady Gaga ist in Iggy verliebt. Der ist aber noch zu kindisch, um das zu merken.
Ganz hinten in der Ecke sitzt Eminem. An den komme ich überhaupt nicht ran. Der hat immer nur seine Kopfhörer im Ohr und kritzelt wirre Texte auf die Rückseiten seiner Arbeitsblätter. Nie beteiligt er sich am Unterricht. Die anderen halten sich von ihm fern. Er lächelt nie.
Klassenbester und Klassensprecher ist John Lennon. Er will aber leider ständig diskutieren. Das stresst. Das gute Klassengefüge wird durch Yoko Ono, die neu in die Klasse kommt, ganz schön durcheinandergebracht. Keiner aus der Klasse mag sie. Sie ist arrogant und stresst mich ebenfalls sehr. Wegen seines ausgeprägten Helfersyndroms nimmt sich John ihrer an, und die beiden bilden ein nerviges Können-wir-das-nicht-noch-mal-diskutieren-Duo.
Die Klasse ist anstrengend. Alle Schülervariationen sind vertreten. Interesse am Unterricht haben die wenigsten. Brian Wilson ist total depressiv, und ich halte ständigen Kontakt zum Jugendamt und zu den Eltern. Eine sehr bürokratische Nerverei. Gerne würde ich ihm sagen: »Nun nimm dich mal nicht ganz so ernst.« Kurt Cobain trägt das ganze Jahr den gleichen grünen Pulli und müffelt. Die Mädchen stehen trotzdem auf ihn. Ich begreife das nicht. Prince wird dauernd an den Kartenständer gehängt und in den Schrank gesperrt. Dann bekommt er immer anstrengende Tobsuchtsanfälle.
Die Kollegen gehen nicht gerne in meine Klasse. Ich mag meine Klasse eigentlich, bin
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