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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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was erbst, ist das doch eine ganz offizielle Sache. Ist doch nicht so, dass jemand stirbt, dann wird er verscharrt, und es bleibt ein Haufen Geld übrig. Da musst du Erbschaftssteuer zahlen und so weiter.«
    »Steuer?« Ein Fremdwort für meine Schüler. »Dann sage ich, ich habe das gespart.«
    »Dann wollen sie dein Sparkonto sehen.« Mehmet denkt nach. Er hatte sich seine Zukunft offensichtlich nicht so kompliziert vorgestellt. Er sagt nichts mehr. Stattdessen erzählt Mariam, wie sie am Wochenende einen Hund gerettet hat. »Wir waren in einem Wald drinne …«
    »›Drinne‹? ›In einem Wald drinne‹? Mariam, sprich mal ordentlich!« Ich kann ihrer verworrenen Geschichte einfach nicht folgen. Irgendwas mit einem Obdachlosen, einem Hund und der Polizei. Der Obdachlose hatte seinen Hund verloren oder der Hund den Obdachlosen, und dann kam die Polizei und hat die beiden wieder vereint. Und das alles geschah in einem Wald DRINNE.
    »Bekommen Obdachlose eigentlich Hartz 4?«, fragt Abdul.
    Wir unterhalten uns den Rest der Stunde über Wohnungslosigkeit, Formulare, Schulversäumnisanzeigen und ihre schulische Zukunft. Die Stunde endet wie immer, wenn wir uns gut verstehen: »Frau Freitag, können wir nicht Klassenfahrt gehen?«
    »Mit euch? Wo ihr immer den Unterricht der Kollegen stört und ständig zu spät kommt?« – Meine Standardantwort.
    »Aber auf Klassenfahrt kommen wir nicht zu spät. Bestimmt nicht!«
    Und was waren Sie für eine Schülerin?
    So, die erste Woche ist rum. Juchu! Ging schnell, war leicht, hat Spaß gemacht. Danke für meine Arbeitsstelle. Die Schüler an meiner Schule sind echt der Hit. Ich könnte mich den ganzen Tag über die bepfeifen. Ich frage mich immer, ob das an jeder Schule so ist. Sind die Schüler anderswo auch so witzig, schlagfertig, originell und noch dazu so verdammt gutaussehend? Na ja, die sehen jetzt auch nicht alle gut aus, aber die meisten holen schon ziemlich viel aus sich raus. In meiner Klasse bin ich ja die Einzige, die sich nicht so sehr um ihr Aussehen kümmert. Die anderen Mädchen – halleluja! Da gibt es den Disco-Islam – alles in pink oder türkis (man revivalt die Achtziger – auch mit Kopftuch). Samira – eindeutig Punk-Islam – immer das Kopftuch auf halb acht, die Haare hängen verschwitzt an der Seite raus. Die Klamotten cool, meistens schwarz oder grau, keine Schminke und kurze dreckige Fingernägel – genau wie ich. Meine Fingernägel sind auch Punk. Und morgens wünsche ich mir manchmal, auch einfach ein Kopftuch über die fettigen Haare zu ziehen, anstatt sie mir um 6.10 Uhr waschen zu müssen.
    Gestern fragte mich Ali aus der 10. Klasse, was für ein Schüler ich früher gewesen bin.
    »Wie meinst du das, Ali?«
    »Na, haben Sie sich immer an alle Regeln gehalten, haben Sie auch mal geschwänzt?«
    »Geschwänzt … na ja.« Ich kann ihnen ja nicht erzählen, dass ich in der Oberstufe gar nicht mehr zum Matheunterricht gegangen bin und deshalb später auch nur zwei Punkte hatte. »Na, ich habe jedenfalls nicht so bescheuert geschwänzt wie ihr. Nicht immer die gleichen Fächer und nur bei Lehrern, wo ich wusste, dass die nicht …« – Ich begebe mich auf gefährliches Terrain. »Na ja, so schlecht kann ich ja nicht gewesen sein, ich habe schließlich Abitur gemacht.«
    »Aber was waren Sie für eine Schülerin? Waren Sie so strebermäßig oder waren Sie so Freak. So cool und checkermäßig?«
    »Checkermäßig?«
    »Na, so wie wir.«
    »Ich habe jedenfalls nicht wie du die 10. Klasse zweimal wiederholt.«
    Würde ich mich eigentlich heute gerne als Schülerin haben? In den Klassen, die ich unterrichte, gibt es Schüler und Schülerinnen, die so sind, wie ich als Schülerin war. Das sind die, die ich als Menschen total gut finde, die mir aber durch ihre Art fast jede Unterrichtsstunde kaputtmachen. Wahrscheinlich die späte Rache vom Pädagogikgott. Samira, Abdul, Dirk, Dschingis – alle zeigen Verhaltensweisen von Frau Freitag als Schülerin. Sogar Mehmet. Manchmal. Der große Unterschied: Keiner von denen wird je Lehrerin werden. Keiner von denen wird mit achtzehn ausziehen und eine eigene Wohnung haben. Keiner wird durch Europa trampen und fast zwanzig Jahre studieren. Leider. Das Potenzial für so eine Biografie hätten sie alle.
    Blaue Briefe
    Morgen erfahre ich, welche Schüler meiner Klasse stark, weniger stark oder überhaupt nicht gefährdet sind, sitzenzubleiben. Und morgen muss ich auch die Blauen Briefe schreiben. Ich weiß

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