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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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Krise anrufen.
    Ich sitze in meiner Freistunde im Lehrerzimmer, mit einer Kann-ich-mir-auch-den-Deutschunterricht-mal-ansehen-Schulfremden und Kollegin Hinrich. Beide kommen gerade aus einer Doppelstunde in meiner Klasse. Ich will lieber gar nicht erst fragen, wie es war, und rede deshalb übers Wetter. Aber dann die Schulfremde: »Das ist aber eine nette Gruppe, Ihre Klasse.«
    Ich verstehe nicht: Hä, meint die mich? Meint die meine Klasse?
    »Ja, die sind aber nett miteinander und die haben auch so schön gearbeitet.«
    »Na ja, die können auch anders, und der Abdul, der ist ja immer …, und der Mehmet und die Samira, die macht ja nie«, mischt sich Frau Hinrich ein.
    »Jetzt hör doch mal auf, die wurden gerade gelobt, nun lass doch mal!« Ich will dieses Lob, das erste in diesem Jahr, noch eine Weile genießen, bevor die Sportlehrerin gleich reinkommen und mir aufzählen wird, wer wieder nicht am Sport teilgenommen hat. Deshalb wiederhole ich: »Ja, die sind echt nett.« Ich will noch mehr hören, ich will noch mehr Lob! Aber da kommt nichts mehr. Das Thema wird gewechselt.
    Ich lehne mich zurück und lasse den Satz durch mein Gehirn wabern: »Das ist aber eine nette Gruppe.« Schön klingt das. Selten, aber sehr schön. Ich finde auch, dass die eine nette Gruppe sind. Ich mag meine Klasse sehr gerne. Alle. Irgendwie sind die alle toll. Sie gehen mir zwar ziemlich auf die Nerven, aber sie sind trotzdem toll. Schade, dass nur ich das so sehe. Bei den Kollegen scheinen sie ihre Tollheit geschickt zu verbergen, denn ich höre sonst nur:«Oh Gott, du gehst in die Freitag-Klasse, na, viel Spaß.« – »Ach, die arme Neue, bei denen Ethik. Na, das kann ja was werden.« – »Deine wieder.«
    »Deine« – wie ich das hasse. Ich habe die doch nicht geboren. Und trotzdem heißt es immer: »deine«. Die Kollegen kommen mit ihren Fehlzetteln auf mich zugerannt und zur Begrüßung bekomme ich regelmäßig ein vorwurfsvolles: »Wieder sechs Leute zu spät.« Nie heißt es, zehn Leute waren pünktlich. Ich muss mich immer um die Nicht-so-Angepassten kümmern, die guten Alles-richtig-Macher, über die werde ich nicht informiert: »Nicht gemeckert ist genug gelobt.« Und im Vorbeigehen fällt der Kommentar: »Wie der Herr so das Gescherr«, was ja nichts anderes meint, als dass ich schuld daran bin, dass Abdul, Peter und Sabine wieder zu spät gekommen sind. Haben die vielleicht bei mir geschlafen? Wenn sie das gemacht hätten, dann hätte ich sie pünktlich geweckt!
    Mir wird seit zwei Jahren suggeriert, dass meine gesamte Klasse nicht in die Pubertät gekommen wäre, wenn sie einen fähigeren Klassenleiter gehabt hätten. Nun ist es aber zu spät. Alle sind hormonell überdosiert – daran bin natürlich ich schuld, klar – und drehen frei. Sie benehmen sich total daneben, sie kommen zu spät, sie machen keine Hausaufgaben. Und wenn doch, dann schreiben sie die nur von dem Deppen ab, der sie gemacht hat. Sie vergessen jeden Zettel, den man ihnen zur Unterschrift nach Hause mitgibt. Sie haben selten ihr Arbeitsmaterial dabei. Sie passen im Unterricht nicht auf. Sie arbeiten nicht mit. Ihnen fehlt der Ehrgeiz und die Konzentration. Dafür werden sie frech, anmaßend und unverschämt, wenn man sie ermahnt.
    Und trotzdem finde ich sie toll. Sie sind witzig und fröhlich. Sie kommen zu spät, weil sie sich so gut verstehen und so viel auf dem Schulhof zu tun haben. Sie müssen auch oft noch aufs Klo oder in die Cafeteria. Sie arbeiten nicht mit, weil sie sich momentan für andere Dinge interessieren. Sie bringen die Zettel mit den Unterschriften nicht mit, weil sie es einfach vergessen, sobald sie zu Hause sind. Sie sind ganz normale Teenager in der schlimmsten Zeit der Pubertät. Sie haben Babyspeck und Pickel und ziehen sich komische Klamotten an. Sie haben alle mehrere Handys und wissen genau, wie man die bedient. Sie schminken sich seltsam, oft sind ihre Gesichter orange. Die Jungen verkleistern ihre Haare mit Gel und die Mädchen finden das süß. Sie bequatschen dauernd ihre Probleme. Sie sind ständig verliebt und dann wieder doch nicht: »Schon laaange nicht mehr mit dem, Frau Freitag.« Sie machen gute Witze und lachen, wenn ich über Kabel stolpere. Sie bringen mir die übelsten Ausdrücke auf Arabisch oder Türkisch bei und versichern mir, das hieße »Guten Tag« oder »Auf Wiedersehen«. Sie sind ständig wie auf Koks, völlig überdreht und zu laut. Ich finde sie wirklich super.
    Wochenende, endlich Zeit zum

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