Chill mal, Frau Freitag
zu unterrichtenden Stunden in meinem Stundenplan irgendwie gleichmäßig verteilt wären. Leider ist das nicht der Fall, und deshalb habe ich dienstags und donnerstags immer sieben Stunden hintereinander. Wenn ich dann aus der Schule komme, brauche ich was Rohes.
Völlig unterfleischt stürze ich mit letzter Kraft zur Wursttheke: »200 Gramm Hackepeter, bitte. Brauchen Sie nicht einzupacken, ich ess das gleich hier.«
Manchmal reicht Hackepeter nicht, und ich kaufe Rinder-oder Gemischtgehacktes. Aber am liebsten würde ich mich direkt über die Theke hängen und in ein blutiges Steak beißen oder, noch besser: mir ein Stück Fleisch aus einem Tier reißen. Aber das geht ja nicht, nicht mal bei Kaiser’s. Mein Freund macht sich über mich lustig, ich wundere mich: Was passiert da mit mir in der Schule, dass ich nach der Arbeit so ausgehungert bin? Geht es nur mir so? Ist das typisch für den Lehrerberuf? Sind das die Vorboten des Burn-outs?
Gibt es Untersuchungen zum Eiweißverbrauch während des Lehrens? Warum wird so was nicht erforscht? Die messen und testen doch ständig. Dauernd werden die Schüler überprüft, und man stellt immer wieder fest, dass sie noch genauso ahnungslos sind wie im Vorjahr. Durch das ganze Testen werden die auch nur bedingt schlauer. Also wäre mein Vorschlag, statt der Schülerleistungen ruhig mal den Energieverbrauch der Lehrkräfte zu untersuchen. Und die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen sollten dann bitte in die Stundenplangestaltung integriert werden.
Ich geh einfach mal nicht hin
Wenn es mit der Energie gar nicht mehr geht, dann könnte ich mich am Schülerverhalten orientieren. Ich könnte ja auch mal nicht hingehen. Also, nur mal angenommen, ich schwänze.
Es ist 8.02 Uhr, und ich sitze am Computer. Aber nicht in der Schule, sondern zu Hause. Ich hätte in den ersten Stunden eine 10. Klasse. Aber die 10. Klassen sind heute nicht da, machen einen Ausflug. Und ich stand gestern noch nicht auf dem Vertretungsplan. Und jetzt bin ich einfach nicht hingegangen. Au Backe. Wer sich selbst im Schuldienst befindet, weiß, was das heißt: Anwesenheitspflicht, Abmeldungspflicht, Immer-bereitsein-Pflicht. Eigentlich wollte ich anrufen und fragen, ob ich heute auf dem Vertretungsplan stehe. Aber dann dachte ich: Nö! Jetzt zieh ich das durch, das ganz große Ding. Ich gehe einfach nicht hin! Mein persönlicher Ausnahmezustand! Anarchie! Meine kleine Rache! Doch nun könnte jeden Moment das Telefon klingeln, und sie könnten mich finden.
Ein bisschen mulmig ist mir schon, so einsam am Rande der Legalität. Aber wenn die gleich anrufen, dann sage ich: »Na und, mir doch egal! Hatte keine Lust! Ätschibätschi! Und wenn ihr nicht nett zu mir seid, dann komm ich morgen auch nicht – und ruf nicht mal vorher an!«
Und wenn ich doch hingehen würde? Dann nur völlig unvorbereitet, und wenn’s klingelt, setze ich mich einfach auf einen Stuhl, ganz hinten links, und warte, was passiert. Sollen doch die Schüler mal den Unterricht machen, und ich höre Musik auf meinem MP3-Player oder spiele mit dem Handy rum. Ab und zu falle ich vom Stuhl, weil ich das mit dem Essen und gleichzeitig Kippeln noch nicht so gut kann. Meine Pausenaufsicht ignoriere ich, rauche stattdessen eine im Klassenraum – warum immer extra nach draußen gehen? Wenn mich ein Schüler darauf anspricht, sage ich: »Halt’s Maul, du Spast.« Will der mir dann eine hauen, schlage ich richtig doll zurück. Wenn sie dann kommen, um mich aus dem Klassenraum zu entfernen, lasse ich mich raustragen, schreie dabei und spucke. Die Polizei lüge ich an, ich sag einfach einen falschen Namen und dass ich jegliche Aussage verweigere. Vielleicht beleidige ich die Polizisten noch ein wenig. Irgendwas mit ihren Müttern oder so. Ich könnte auch ein Messer dabei haben und damit durchs Lehrerzimmer oder über den Hof rennen und schreien: »Kommt doch, kommt doch her! Ich mach euch alle kalt!«
Vor meinem Prozess gebe ich Fernsehinterviews. Bei RTL sage ich: »Das war einfach mal nötig.« Der ARD sage ich: »Weiß auch nicht, was mich da geritten hat.« Und bei N-TV: »War ich nicht!« Gutachter werden feststellen, dass es alles abzusehen war: Manisch-depressiv seit Jahrzehnten, Tinnitus seit letztem Oktober und nervöse Zuckungen seit Schuljahresbeginn.
Die Schüler haben dank mir die Gelegenheit, im Fernsehen mal groß rauszukommen: »Ja Alta, isch schwöre, die war immer irgendwie komisch.« – »Der Unterricht war auch voll
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