Chill mal, Frau Freitag
gleich mal Arbeitspläne schreiben.«
»Frau Freitag, jetzt mach dich nicht lächerlich. Jetzt sind Ferien. Da denkt kein Mensch an Unterricht. Komm, schnell, ab ins Loch, los!«
»Nein, nein, warte.« Ich gehe näher an den Rand. Alles dunkel, kalt, und an den Wänden nur Langeweile und schleimige Ausweglosigkeit.
»Nein, bitte, ich will nicht. Ich will meine Zeit nutzen. Wenn ich jetzt ins Loch falle, wie komme ich da je wieder raus? Ich kenne das doch. Es ist schrecklich. Wenn man im Loch ist, dann wacht man nachts auf und hat Selbstmordgedanken. Bitte, bitte, ich möchte diesmal nicht, bitte.«
»Bist doch selbst schuld. Warum bist du nicht gestern Abend in den Urlaub gefahren? Da waren deine Kollegen aber schlauer.«
»Ja, ja, ich weiß, den Fehler mache ich immer wieder. Aber ich dachte, wenn ich hierbleibe, dann kann ich so viel erledigen. All das Liegengebliebene.«
»Hmmm, schon klar. Nun mach dir mal nichts vor, Frau Freitag. Komm, lass dich fallen!«
Neeeiiinnn! Nur schnell weg vom Rand. Während ich renne und renne, drehe ich mich um und rufe: »So. War nett mit dir zu quatschen, aber ich habe leider keine Zeit mehr. Ich muss jetzt unbedingt sofort meine Schultasche ausräumen und die Arbeitsblätter wegheften!«
Voll krass, Alta, isch schwöre!
Wach isch heute auf, kann isch nur noch reden wie Schüler. Sagisch zu Freund: »Freund, vallah , scheiße, was is das für schwule Kacke. Guckstu, wie isch rede. Geht nisch wieda normal, isch schwör. Kann isch nix mehr Kontrolle machen.« Freund sagt, soll ich Hals-Nasen-Ohren-Arzt gehen.
Geh isch Arzt, sag isch: »Herr Arzt, was das für schwule Scheiße mit meine Sprache?«
Sagt er: »Haben Sie in letzter Zeit Stress gehabt?«
»Strezzz? Was Strezzz, hab isch voll krasse Sprachenstörung, hörst du. Musstu Untersuchung machen. Bistu Arzt, oder was? Strezzz … dein Mutter hat Strezzz.« Ich voll aggro, er voll Angst, ich voll ein bisschen stolz. Weil ich noch nie nix erlebt haben tu, wie Arzt voll keine Peilung von nichts gehabt haben hatte.
»Was jetzt, bistu Opferarzt, oder was? Sollisch Untersuchung machen?« Guckt er mich mit so voll schwule Teil in Hals.
»Bistu behindert? Pass auf, du Spast, dis tut voll krass weh. Isch klatsch dir gleich eine. Ja?«
»Also, ich kann da nichts sehen, mit Ihren Stimmbändern ist alles in Ordnung. Ich vermute, Sie leiden an einer Stressattacke. Darf ich fragen, welchen Beruf Sie ausüben?«
»Was Beruf, ja? Bin isch Lehrerin, hastu Problem damit, oder was? Hässlichkeit.«
Glotzt die Sprechstundenschlampe auch noch so behindert. Rotz ich ersma aufn Boden. »Drecksarzt, kann nich heilen. Was, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, ja? Opfer.«
Opfer, Missgeburt, Spast
Irgendwie schienen sich das Schülerverhalten und vor allem ihre verrohte Ausdrucksweise in mein System gefressen zu haben. Meine Sprache normalisierte sich nach ein paar Tagen wieder. Aber dann kamen wieder die grauen Gedanken: keine Schule, keine Arbeit, nichts zu tun.
In der zweiten Ferienwoche versuche ich deshalb meine Feriendepression mit einem Aufräumanfall zu bekämpfen. Beim Abbau der Schreibtischhaufen fällt mir ein Buch in die Hände: Mit Schülern klarkommen . Eine Empfehlung von Frau Dienstag: »Brauchst du! Musst du haben! Wird dein Leben verändern!«
Ich blättere darin herum und erinnere mich an meine holprige Anfangszeit als Klassenlehrerin. Damals ging mir der raue Umgangston der Schüler noch gehörig gegen den Strich. Wenn ich in meinem Klassenraum saß und die Tür offen war, hörte ich ständig den Soundtrack vorbeilaufender Schüler: »Du Spast!« – »Hurensohn, Opfer, Missgeburt!« – »Fotze, Hässlichkeit, Bastard!« Das waren die häufigsten Beschimpfungen.
In meiner Klasse hingen damals Klassenregeln, an die sich keiner hielt. Unter anderem stand da: Keiner wird beleidigt oder fertiggemacht. Eigentlich hätte dort auch stehen können: Wenn dich einer beleidigt, dann musst du ihn noch heftiger beleidigen. Und wenn er dich dann noch mal beleidigt, dann musst du ihm die Fresse polieren. Denn so lief das in meiner Klasse. Besonders beliebt waren Mutterbeleidigungen. In der achten Klasse sagten die Schüler nur noch: »Deine Mutter!«, oder: »Dein Vater!« Die Gemeinheit, die folgen sollte, konnte sich der Angesprochene dann wohl selbst aussuchen.
Mir ging der ständige Gebrauch von Beleidigungen und Beschimpfungen so auf die Nerven, dass ich beschloss, das Thema im Ethikunterricht zu bearbeiten. In Frau Dienstags Buch fand
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