Chill mal, Frau Freitag
falsch aufgeschrieben. Sie haben montags eine Stunde mehr. Sie beschweren sich, meckern.
Ich sage: »Dafür habt ihr heute nach der sechsten Schluss, habe ich gerade erfahren.« Sie meckern trotzdem.
Als ich gerade abschließen will, steht plötzlich ein Schüler vor meinem Raum: »Frau Freitag, ich bin auch in Ihrer Klasse.«
Ich: »Nicht dein Ernst, oder?«
»Ja, doch, in echt.«
»Whatever, schreib dir den Stundenplan ab.«
Die Freistunde ist fast vorbei, noch schnell eine rauchen, dann Doppelstunde Kunst, 8. Klasse. Eine neue Gruppe. Ich Bad Cop und Good Cop in einer Person, halte ich aber gerade mal für zwei Stunden durch. Die Schüler drehen nicht durch, noch nicht. Ich hab sie ganz gut gefoppt. Sie denken: Wer weiß, vielleicht ist sie streng, mal lieber noch nicht so viel Scheiße bauen. Dann, um halb eins, habe und bin ich fertig. So fertig, dass ich erst um drei aus der Schule komme, weil ich im Lehrerzimmer mehrere Stunden brauche, um mich zu regenerieren.
Der zweite Tag wird bestimmt besser
Wenn man das Schlimmste vom Tag erwartet, dann wird es meistens gar nicht so übel. Heute war’s eigentlich doch wieder schön. Sagte ich schon, wie gerne ich Lehrerin bin?
Das Wetter war herrlich, und die Schüler hatten später sogar hitzefrei. Und zu Hause habe ich einen Brief von der Schulbehörde gefunden, die mir schreibt, dass ich mehr Geld bekommen soll. Ist doch alles super.
Und die Schüler – ach, die sind süß. Haben noch nicht geschwänzt und sich erst bei einer einzigen der neuen Lehrerinnen danebenbenommen. Ich habe ihr zu schriftlichen Arbeitsaufträgen geraten, die eingesammelt und zensiert werden sollen. Mach ich selbst nie, obwohl sie sich bei mir ja auch danebenbenehmen. Ich erzähl es aber nicht gleich im Lehrerzimmer rum. War ja auch eine neue Kollegin, die wird schon noch lernen, mit ihren Misserfolgen alleine klarzukommen. Meine Vorstellungen, wie man das alles handhaben sollte, sind halt ganz anders als das, was ich selber mache. Das ist typisch für Lehrer.
Also, das neue Schuljahr kann kommen, ich bin bereit. Dieses Jahr wird alles besser gemacht.
Für den nächsten Schultag hatte ich mir morgens vorgenommen, einfach mal netter zu sein. Ja, einfach mal nett sein.
Erste Stunde Kunst in meiner Klasse. Ich – ach was soll sein, bin ich doch mal nett zur Klasse. Also betont langsam und mit wohlig mütterlicher Stimme die neue Aufgabe erklärt. Gewartet, bis sie ruhig waren. Gelächelt, als sie noch quatschten, dankbar genickt, als Samira rief: »Nun seid doch mal ruhig! Sie will was sagen. Peter, Sabine!« Dann idiotensicher die Aufgabe verbal seziert, alle erdenklichen Probleme oder Formulierungen, die man falsch verstehen könnte, vorweggenommen: »Querformat! Guckt mal, nicht so.« – Blatt hochkant gehalten. – »Neiiin, nicht so! Sondern so.« – Blatt im Querformat. Geduldig siebenmal die gleiche Frage beantwortet. Freundlich die Blätter ausgeteilt. Mit ermutigenden Motivierungen um mich geschmissen: »Das schafft ihr schon! Das könnt ihr! Legt mal los, das ist wirklich nicht schwer!«
Dann stolz durch die Stuhlreihen geschritten und jedem persönliche Hilfe aufgedrängt. Zu Christine, die schlapp auf ihrem Stuhl hing, nicht gesagt: »Was hängste da? Du musst früher ins Bett! So kannste dir die Gymnasialaussichten von der Backe putzen.« Nein, heute: »Christine, was ist los mit dir?« Dabei sogar in die Knie gegangen – auf Augenhöhe. »Hast du Stress? Oder bist du nur müde?« Und schon bekam ich von ihr statt des üblichen Augenrollens ein komplettes Update des Mutter-Tochter-Dramas der vergangenen Sommerferien. »Ach, du Arme. Ach, das tut mir leid. Ja, ich weiß, das muss schlimm für dich gewesen sein.«
Und der Effekt: Die Klasse war sehr viel ruhiger als sonst, nicht so überdreht und irre wie am Vortag. Alle waren ausgesprochen nett und höflich zueinander: »Peter, du musst deinen Bleistift anspitzen, dann kannst du besser zeichnen, sonst klappt das nicht so gut.« Daraufhin Samira: »Hier, Peter, ich hab einen Anspitzer, brauchst du?« Dann zwischendurch göttliche Ruhe. Ein sehr seltener Zustand in der Schule. Genießen, genießen, genießen, die herrliche Stille vergeht schneller als sie kommt. Meltem: »Öhhh, voll still, vallah .« Mascha: »Ja, escht ey, voll still.« Aber sie bemerkten nicht nur die Stille, auch mein verändertes Verhalten war unübersehbar. Elif: »Frau Freitag, Sie sind heute voll nett.« Christine: »Ja, wirklich, Frau
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