Chill mal, Frau Freitag
Busreise dazu.)
Kann ich es verkraften, wenn ein Haufen Jugendlicher meine mit Liebe vorbereiteten Unterrichtseinheiten erst boykottiert und dann als langweilige Scheiße bezeichnet?
Möchte ich Elterngespräche führen, bei denen die Eltern immer nur nicken und zu jedem Vorschlag wimmern: »Du sagen!«
Reichen mir 5 000 Euro netto jeden Monat? Ich spüre leichte Empörung? Was denn, was denn? Man kann doch auch Schulleiterin werden …
Möchte ich jede Nacht von nicht gemachten Hausaufgaben träumen?
Möchte ich mein Leben lang zur Schule gehen, ohne jemals einen Abschluss zu erhalten und dieses schöne Freiheits gefühl zu spüren?
Bin ich ein Action- und Abenteuertyp? Mag ich Gewalt und Polizeieinsatz? Fühle ich mich in Konfliktsituationen wohl?
Interessiere ich mich besonders für Streitereien zwischen 14-jährigen Busenfreundinnen? Und wie steht es mit Counterstrike, World of Warcraft, MSN und Facebook?
Solltest du mehr als zwei dieser Fragen mit nein beantwortet haben, bist du leider nicht geeignet, diesen herrlichen Beruf auszuüben. Solltest du allerdings schon Lehrerin oder Lehrer sein und trotzdem die eine oder andere Frage mit nein beantworten, dann bleibt nur noch Burn-out und die frühzeitige Versetzung in den Ruhestand. Sorry. Und ich möchte von niemandem hören: Ich habe das ja alles nicht gewusst. Mir hat die Schule als Schüler immer so viel Spaß gemacht. Ich dachte, ich hätte nachmittags frei. Ich dachte, die Jugendlichen wollen was lernen. Ich hatte mir das alles so schön vorgestellt. Nix da! Ihr wusstet genau, worauf ihr euch eingelassen habt. Genauso wie ihr das mit den Ferien wusstet.
Frau Freitag, immer im Dienst!
Es ist Winter. Ich spüre es schon, das Schneechaos. Der Sturm pfeift bereits durch die undichten Stellen meiner Fenster. Und es sieht verdammt kalt draußen aus. Trotzdem werden am Montag wieder Schüler im gestreiften H&M-Kapuzenpulli auf dem Hof rumrennen und rufen: »Nö, ehrlich, mir ist nicht kalt.«
Zu dünn angezogen waren auch die Mitwirkenden des Disputs gestern, der mir die Möglichkeit gab, endlich mal Zivilcourage zu zeigen. Ich komme aus der Schule und singe: »Wochenende, Wochenende, Kaffee, Kaffee, Couch …« Plötzlich vor dem Supermarkt ein tierisches Geschrei. Von Weitem erkenne ich schon, worum es geht.
Zwei Gruppen von Kindern stehen sich gegenüber. Zwischen ihnen circa fünf Meter Abstand, einer brüllt. Ich denke: Hof? Habe ich Aufsicht? Und dann wird mir klar, dass es sich zwar um meine Klientel handelt, ich die Schüler aber gar nicht kenne.
Und irgendwie sind sie auch kleiner als bei uns. In der einen Gruppe zu dünn Angezogene – vom Typ »Ich bin zwar hier geboren, meine Eltern auch, und wir haben alle deutschen Pass, aber wenn Sie mich jetzt fragen, was ich bin, dann können Sie einen drauf lassen, dass ich Türke oder Palästinenser sage« – und in der anderen Gruppe Kinder von Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kleinen frieren, und die sie bei der ersten Kälte welle gezwungen haben, eine Winterjacke zu kaufen. Die Kinder haben allerdings coole Jacken durchgesetzt – Markendaunenjacken. Nur der Größte von ihnen, der, der gerade schreit, hat seine Jacke zu Hause gelassen und trägt ein in seinen Augen noch cooleres Kleidungsstück, nämlich den berühmten Kapuzenpulli, dazu die obligatorischen schwarzen Wollhandschuhe. Weil er die inadäquate Bekleidung beim Verlassen der Elternwohnung durchsetzen konnte und die anderen nicht, ist er der Anführer seiner Gruppe.
Mittlerweile bin ich nah genug an der Szene dran, um zu hören, um was es geht. Coolio schreit immer wieder: »Es ist nicht okay, anderen Leuten von hinten ein Ei auf die Jacke zu werfen! Das ist nicht okay!« Er zieht seinen Pulli aus und hält ihn der anderen Gruppe entgegen. Anscheinend haben die ihm das Ei verabreicht. Ich an seiner Stelle würde noch weitergehen und sagen, es ist nicht mal okay, ein Ei vorne auf die Jacke zu werfen. Überhaupt sollte man gar nicht mit Eiern werfen.
Ich sehe mir die Tätergruppe an. Kinder. Stehen da und grinsen. Streiten nichts ab. Klarer Fall, die haben das Ei geworfen. Im ersten Moment will ich sagen: »Ja, spinnt ihr denn? Wisst ihr denn nicht, dass es haram ist, mit Lebensmitteln …« Dann beschließe ich, erst mal abzuwarten. Eigentlich ist mir kalt und ich will nach Hause und Kaffee trinken.
Die Stimmung wird aggressiver. Auf einmal sehe ich Günther Jauch vor mir, der mich vorwurfsvoll anguckt und dann von seinem Zettel abliest:
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