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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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»Er musste sterben, weil er das gemacht hat, was jeder machen sollte. Er hat Zivilcourage gezeigt und den Kindern geholfen.« Zivilcourage! Ja, die werde ich jetzt auch mal zeigen! Ich bleibe also und gucke mir alles weiter an. Mittlerweile stehen noch mehr Erwachsene herum und warten. Wenn es jetzt gleich zum Kampf kommt, dann werde ich Leute gezielt ansprechen: »Sie da im blauen Anorak, helfen Sie!«
    Aber noch stehen die Gruppen sich nur gegenüber, und der Beworfene schreit immer wieder: »Das ist nicht okay! Das ist feige.« Sehe ich genauso. Aber wie soll es jetzt weitergehen? »Du bist feige. Du bewirfst Leute von hinten mit einem Ei.« Dabei hält der Junge dem Täter seine Jacke entgegen. Was will er denn? Soll der andere die mit nach Hause nehmen und waschen? Und wird ihm nicht kalt, so im T-Shirt?
    Plötzlich geht alles ganz schnell. Der Eierwerfer zieht seinen Kapuzenpulli auch aus und geht auf sein Opfer zu. Jetzt wollen sie sich schlagen. Das bringt Bewegung in uns Zivilcouragierte. Wir nähern uns von allen Seiten den Kontrahenten. »Hey, hey«, sagt ein Mann beruhigend. Und ich frage den mit der Eierjacke: »Was willst du denn jetzt? Willst du dich mit ihm schlagen?« Der Angreifer weicht langsam zurück und schleicht sich beim Anblick der vielen Erwachsenen, die wahrscheinlich nicht auf seiner Seite wären, mit seinen Kumpels zur nächsten Ecke.
    Dann spricht mich ein Kleiner mit sehr warmer Daunenjacke an: »Warum mischen Sie sich denn ein?« Na, das ist doch wohl jetzt die Höhe, dankbar sollten die Kleinen sein! »Meinst du denn, ich will mit ansehen, wie ihr euch schlagt?« Und zu dem Angeworfenen: »Was willst du denn jetzt eigentlich von dem Typen?«
    »Ich will, dass er sich entschuldigt. Finden Sie das etwa okay, wenn man jemandem von hinten ein Ei auf die Jacke wirft?«
    »Nein, das ist überhaupt nicht okay. Aber der wird sich nicht entschuldigen. Weil er ein Idiot ist«, antworte ich und bin mir ganz sicher, dass es stimmt. Jetzt grinst der Kleine in der Daunenjacke: »Ja, da sagen Sie was sehr Richtiges.«
    »Guck mal, du provozierst ihn doch jetzt nur noch«, mischt sich der Passant im blauen Anorak ein. Und ich sage: »Ja, oder willst du dich mit ihm schlagen?«
    »Nein«, sagt der Junge mit dem Eierpulli kleinlaut. »Aber das war nicht okay. Das war nur feige.«
    »Ja, du hast recht. Und der Typ, das ist einfach ein feiger Idiot.«
    Stolz gehe ich nach Hause und weide mich an dem guten Gefühl, endlich mal Zivilcourage gezeigt zu haben. Nun habe ich mir meinen Kaffee wirklich verdient. Aber in meiner Wohnung – Stromausfall. Ich also wieder runter und trinke meinen Kaffee in einem Café. Als ich nach Hause gehe, sehe ich die Daunenjacken-Fraktion auf mich zu kommen. Fröhlich beschwingt trägt jeder ein paar Riesen-Chinaböller in der Hand. Das gibt es ja wohl nicht. Sich erst über so ein läppisches Ei auf der Jacke aufregen und jetzt, eine Woche nach Silvester, mit Böllern durch die Gegend rennen: »Sagt mal, was soll denn der Scheiß jetzt?«, frage ich sie. Etwas verdattert sehen sie mich an und machen, dass sie wegkommen. Langsam verfliegt meine Begeisterung für die Zivilcourage, und ich denke nur sauer: Na wartet nur, euch werd ich noch mal helfen …
    Glück hat immer zwei Seiten
    Oh, fieser Montag. Ich kann nicht mehr. Ich bin rohes Fleisch. Ich bin eine offene Wunde, ein gebrochener Knochen, ein alter Waschlappen. Ich bin mir vor allem nicht sicher, dass ich jemals wieder regeneriere. Unglaublich, was ich heute alles gesagt habe. Hier nur eine kleine Auswahl vom Kunstunterricht in der vierten Stunde:
    »Sarah, sing nicht!«
    »Wieso? Singen macht glücklich.«
    »Aber mich nervt das Singen.«
    Ahmet: »Dürfen wir atmen?«
    »Atmen dürft ihr. Ihr sollt nur nicht singen.«
    Sarah: »Seit wann darf man im Unterricht nicht singen?« (Nur zur Erinnerung: Wir befinden uns nicht im Musikunterricht.)
    »Ach, dürft ihr in jedem anderen Unterricht außer meinem vielleicht singen?« Mittlerweile singen mindestens fünf Schüler. Alle unterschiedliche Lieder.
    Ahmet: »Ja, nur bei Ihnen dürfen wir nicht singen. Bei Ihnen dürfen wir nichts! Nicht mal atmen.«
    Ich – schon am Rande des Wahnsinns: »Wer jetzt noch singt, dem ziehe ich Punkte von der Halbjahreszensur ab!« Es wird weiter gesungen. Ich notiere die Sänger, die werden schon sehen. Ich kämpfe innerlich gegen meine Wut: Ignoriere es, ignoriere es! Die wollen dich doch nur noch provozieren.
    Sarah: »Auf der Mauer,

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