Chimaeren
hatte einen kleinen Hund mit nach Hause gebracht, einen Welpen, den er von irgendeinem Saufkumpan aufs Auge gedrückt bekommen hatte. Richtig putzig hatte er ausgesehen. Sam Leywin hatte ihn seinem Sohn in die Arme gelegt und gesagt: »Für dich! Du wolltest doch immer einen Köter!«
»Das war, als ich sechs war.«
»Na und? Er heißt Sam. Wie ich. Damit du immer an mich denkst!«
Mit diesen Worten war er hoch ins Schlafzimmer gewankt, wo Craigs Mutter gerade staubsaugte. Das Geräusch lief weiter, aber wenig später hatten sich andere Laute hineingemischt. Gequälte Schreie, Weinen - und ein fast animalisches Schnauben.
Craig hatte überlegt, ob er in die Küche gehen, ein Fleischmesser holen und seiner Mutter zu Hilfe eilen sollte.
Er war in die Küche gegangen. Und dann mit »Sam« in den Gar-ten, wo der alte Geräteschuppen stand.
Allmächtiger, diese Augen . die Augen des Welpen, der bis zuletzt nicht verstanden hatte, was mit ihm passierte, suchten ihn noch heute manchmal in seinen Träumen heim.
Sein Vater hatte nie mehr nach dem Hund gefragt.
Aber so hatte es angefangen. So hatte Craig die spezielle Lust entdeckt, die böse Lust am Quälen und am Töten. Und erst viel später war ihm klar geworden, daß die unschuldigen Tiere nur Ersatz waren - Ersatzopfer für ihn .
»Was ist? Willst du Wurzeln schlagen?« Pierce' gehässiges Organ riß Craig aus der gedanklichen Abwesenheit.
Craig und Sailor trugen Jeanshosen- und Jacken, Pierce Lederklamotten. Schwarze Lederklamotten. Er war ganz vernarrt in alles Schwarze.
»Ich komm' ja schon .«
Craig tauchte durch das Türviereck. Seine Hand klatschte gegen den Lichtschalter. Sailor schrie protestierend auf: »He!«
»Wovor hast du Angst?« knirschte Pierce abfällig. Er hatte die Daumen in seine Hosentaschen gehakt. »Craigs Alter ist im Delirium tremens. Und sonst stiefelt nachts keiner durch den Park.«
»Hoffentlich.« Craig senkte kurz das Haupt. »Mein beschissener Erzeuger sagte, daß die letzten Tage ein paar Tiere verschwunden wären. Keiner weiß, wo sie abgeblieben sind. Die Bullen haben sich eingeklinkt .«
Pierce spuckte etwas Undefinierbares auf den gefliesten Boden. »Ihr klingt beide, als hättet ihr die Hosen gestrichen voll. Ich frage mich, welche Gehirnwäsche mich dazu gebracht hat, mit euch um die Häuser zu ziehen. Spaß, ey! Hattest du mir nicht Spaß versprochen?«
Craig richtete sich kerzengerade auf. »Schon gut. Arschloch. Von wem stammt denn die Idee, hierher zu kommen?«
»Hört auf zu streiten!« Sailor trat zwischen sie. Sein Mund war so weich und fraulich geschwungen, daß er häufig als Tunte verhöhnt wurde. Selbst Pierce hatte Craig einmal sturzbetrunken ins Ohr geflüstert, daß er nichts dagegen hätte, wenn Sailor ihm mal ein paar Kunststückchen mit diesen Lippen zeigen würde - unter vier Augen.
Pierce war vermutlich der Abartigste von ihnen. Noch abartiger als ich. Craig gab Sailor einen Wink, der Zustimmung bedeutete. Auch Pierce hielt sein Schandmaul, und zu dritt gingen sie durch einen kurzen, neonerhellten Flur zu einer Eisentür, die unverschlossen war. Dahinter lagen die Schildkrötennester. Das aufflackernde Licht mußte die Tiere erschrecken, aber sie rührten sich nicht. Phlegmatisch starrten sie zu dem Trio, von dessen Absichten sie nichts ahnten.
»Kochen wir uns eine schöne Schildkrötensuppe?« kicherte Pierce. Er zeigte auf einen Behälter, in dem vermutlich Futter aufbereitet wurde. »Mir knurrt der Magen.«
Das Licht hatte sich inzwischen stabilisiert.
Craig sah sich um. Der Drang, der beim Anblick der trotz ihrer dicken Hornschilde wehrlosen Kröten in ihm erwachte, verursachte ihm Übelkeit.
So war es immer. Anfangs.
»Laßt uns -«, setzte er an. In diesem Augenblick stürzte Dunkelheit über sie herein.
Überraschte Rufe wurden laut. In der Luft lag plötzlich ein brenzliger Geruch, als wären Kabel durchgeschmort.
»Verdammt! Mach mal einer Licht!«
»Wie denn?«
»Nimm dein Feuerzeug.«
Rascheln, dann: »Hab's nicht dabei. Muß in der anderen Jacke stecken. Oh, Shit! Was ist mit euch? Craig? Pierce?«
Pierce fluchte nur wie ein Kombüsenmaat. Craig gab zunächst überhaupt keinen Ton von sich. Er war wie benommen, mußte die Gefühle, die sich wie ein kalt glitzernder Nebel über sein normales Ich gelegt hatten, erst wieder zurückdrängen. Rauh sagte er schließlich: »Wir gehen. Schildkröten sind doch sowieso langweilig. Laßt uns zu den Freigehegen. Laßt uns etwas Großes
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