Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
Vom Netzwerk:
aus, als hätte ihm jemand Salz hineingestreut. »Sie wissen doch, was ich meine. Oder?«
    Ich tue so, als ob ich ihn nicht höre. Es gibt nichts, was uns verbindet, diesen Mann und mich. Wir haben nichts gemein. Ich kann ihn riechen, den schalen Gestank seines verschwitzten, ungewaschenen Hemdes, den fauligen Bieratem. Er packt mich am Arm.
    »Sie verstehen schon, Vater«, wiederholt er verzweifelt. »Ich hab Ihnen die Zigeuner vom Hals geschafft. Erinnern Sie sich? Ich hab Ihnen auch geholfen.«
    Sie mag vielleicht halb blind sein, aber sie sieht alles, verdammt. Alles . Ich sehe ihren Blick zu mir herüberschnellen.
    »Ach so ist das?« Sie stößt ein vulgäres Lachen aus. »Zwei von einer Sorte, was, Curé ?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Muscat«, sage ich trocken. »Sie sind sinnlos betrunken.«
    »Aber Vater –« Er ringt nach Worten, sein verzerrtes Gesicht ist puterrot. »Vater, Sie haben doch selbst gesagt –«
    Eisig: »Ich habe überhaupt nichts gesagt.«
    Er öffnet den Mund wie ein Fisch auf einer Sandbank.
    » Überhaupt nichts! «
    Armande und Guillaume haben Joséphine zwischen sich genommen und begleiten sie hinaus. Joséphine wirft mir einen seltsam durchdringenden Blick zu, der mich fast erschreckt. Ihr Gesicht ist schmutzig, ihre Hände sind blutverschmiert, und doch ist sie in diesem Augenblick auf beunruhigende Weise schön. Sie sieht mich an, als könnte sie bis in mein Innerstes blicken. Ich möchte sie bitten, mich nicht verantwortlich zu machen, möchte ihr sagen, daß ich nicht so bin wie er; ich bin kein Mann , sondern ein Priester , ichgehöre einer anderen Art an … doch der Gedanke ist absurd, beinahe blasphemisch.
    Dann führt Armande sie die Treppe hinunter, und ich bleibe allein mit Muscat zurück. Seine Tränen benetzen meinen Hals, seine heißen Arme halten mich umklammert. Einen Augenblick verliere ich die Orientierung, versinke zusammen mit ihm im Nebel meiner Erinnerungen. Ich mache mich los, zunächst vorsichtig, dann mit zunehmender Gewalt, schiebe seinen schwabbeligen Bauch mit den Händen von mir, bearbeite ihn mit den Fäusten, den Ellbogen … Und dabei schreie ich gegen sein Flehen an, mit einer Stimme, die nicht meine eigene ist, einer hohen, zornigen Stimme:
    »Lassen Sie mich, Sie Bastard, Sie haben alles verdorben –«
    Francis, es tut mir leid, ich  –
    » Père –«
    »Alles ist verdorben – alles  –, lassen Sie mich los !« Schnaufend vor Anstrengung gelingt es mir endlich, mich aus seiner Umklammerung zu befreien. Von Erleichterung überwältigt renne ich die Treppe hinunter, verstauche mir den Knöchel, als ich über einen Teppich stolpere, während er hinter mir her jammert und greint wie ein verlassenes Kind …
    Später fand ich Zeit, mit Caro und Georges zu sprechen. Mit Muscat werde ich nicht mehr reden. Außerdem geht das Gerücht, er hätte alles, was er in der Eile zusammenraffen konnte, in seinen alten Wagen gepackt und sich davongemacht. Das Café ist jetzt geschlossen, nur die eingeschlagene Scheibe in der Eingangstür erinnert noch an das, was sich heute vormittag dort abgespielt hat. Als es dunkel wurde, bin ich noch einmal hingegangen und habe lange vor dem Fenster gestanden. Der Himmel über Les Marauds war kühl und schimmerte grünlich, nur über den Horizont zog sich ein milchiger Streifen. Der Fluß war dunkel und still.
    Ich habe Caro erklärt, daß die Kirche ihre Kampagne gegen das Schokoladenfest nicht unterstützen wird. Daß ich sie nicht unterstützen werde. Begreift sie es denn nicht? Nachdem, was Muscat getan hat, hat der Gemeinderat seine Glaubwürdigkeit verloren. Diesmal hat er sich zu weit in die Öffentlichkeit gewagt, diesmal war er zu brutal. Genau wie ich müssen auch sie sein Gesicht gesehen haben, seinen wahnsinnigen, haßerfüllten Blick. Zu wissen, daß ein Mann seine Frau prügelt – es insgeheim zu wissen –, ist eine Sache. Aber die Brutalität in all ihrer Häßlichkeit hautnah mitzuerleben … Nein. Er wird es nicht überleben. Caro erzählt bereits jedem, der es hören will, sie hätte ihn schon immer durchschaut, sie hätte es von Anfang an gewußt. Sie distanziert sich, so gut sie kann – Wie schrecklich, diese arme, betrogene Frau! –, ebenso, wie ich es tue. Wir haben uns zu sehr mit ihm eingelassen, erkläre ich ihr. Wir haben ihn benutzt, wenn es uns zupaß kam. Diesen Eindruck müssen wir schnellstens korrigieren. Zu unserem eigenen Schutz müssen wir uns zurückziehen. Die

Weitere Kostenlose Bücher