Chocolat
h-hinterher auf das hört, was du willst.«
Sie schaut ihn an.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, ich k-könnte mit ihr reden. S-Sie überzeugen.« Er kennt seine Mutter. Er versteht sie besser, als sie ahnt. »Ich könnte sie zur V-Vernunft bringen«, sagt er. »Aber w-wenn du nicht willst –«
»Das hab ich nicht gesagt.« Einem plötzlichen Impuls folgend, nimmt sie ihn in den Arm. »Du bist ein kluger Junge«, sagt sie, wieder gefaßt. »Du könntest es schaffen, nicht wahr?« Sie drückt ihm einen schmatzenden Kuß auf die Wange, was er geduldig über sich ergehen läßt. »Mein guter , kluger Junge«, wiederholt sie liebevoll, und dann machen sie sich Arm in Arm auf den Heimweg. Luc ist bereits größer als seine Mutter und sieht sie an wie ein toleranter Vater sein übermütiges Kind.
Oh, er kennt sie genau.
Seit Joséphine mit ihrem Café beschäftigt ist, habe ich kaum noch Hilfe bei meinen Ostervorbereitungen; glücklicherweise ist das meiste erledigt, es müssen nur noch ein paar Dutzend Schachteln verpackt werden. Ich arbeite abends in der Küche und mache die Kekse, die Trüffel, die Lebkuchenglocken und die mit Zuckerguß überzogenen pains d’épices . Ich vermisse Joséphines Geschick im Verpacken und Dekorieren, aber Anouk hilft mir, so gut sie kann, bastelt bunte Papierkrausen und steckt Seidenrosen auf zahllose Cellophantüten.
Ich habe das Schaufenster für die Zeit, in der ich an der Dekoration für Sonntag arbeite, mit Silberpapier verhängt, und der Laden sieht fast wieder so aus wie zu Anfang, als wir hierherkamen. Anouk hat die Fensterscheibe mit Ostereiern und lauter Tieren geschmückt, die sie aus buntem Papier ausgeschnitten hat, und in der Mitte hängt ein riesiges Plakat mit der Aufschrift:
GRAND FESTIVAL DU CHOCOLAT
Sonntag, Place St. Jérôme
Seit die Osterferien angefangen haben, wimmelt es auf dem Platz von Kindern, die sich immer wieder die Nase am Fenster platt drücken in der Hoffnung, einen Blick auf die Vorbereitungen zu erhaschen. Es sind bereits Bestellungen im Wert von über achttausend Franc eingegangen – einige ausMontauban und sogar aus Agen –, und es kommen immer mehr Kunden, so daß der Laden kaum jemals leer ist. Caros Flugblattkampagne scheint im Sande verlaufen zu sein. Guillaume erzählt mir, Reynaud habe seiner Gemeinde versichert, daß das Schokoladenfest im Gegensatz zu allem, was böse Zungen behaupten, seine volle Unterstützung hat. Dennoch sehe ich ihn manchmal von seinem kleinen Fenster aus herüberstarren, und dann erblicke ich in seinen Augen nur Gier und Haß. Ich weiß, daß er mir übel will, aber irgendwas hat ihm den Giftstachel genommen. Ich versuche, etwas aus Armande herauszubekommen. Sie weiß mehr, als sie preisgibt, aber sie schüttelt nur den Kopf.
»Das ist alles so lange her«, sagt sie ausweichend. »Mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste.« Statt dessen will sie jede Einzelheit über das Menü wissen, das ich für ihre Party geplant habe. Sie ist ganz aufgeregt vor Vorfreude und sprudelt über vor Ideen. Brandade truffée , vol-aux-vents aux trois champignons in Wein und Sahne gekocht und mit chantrelles garniert, gegrillte langoustines mit Krautsalat, fünf verschiedene Sorten Schokoladenkuchen – all ihre Lieblingssorten –, selbstgemachtes Schokoladeneis … Ihre Augen funkeln schelmisch und erwartungsvoll.
»Als junges Mädchen habe ich nie ein Geburtstagsfest gehabt«, erklärt sie. »Nicht ein einziges Mal. Einmal bin ich zu einem Ball gegangen, drüben in Montauban, mit einem Jungen von der Küste. Hui! « Sie machte eine eindeutige Geste. »Er war so dunkel wie Sirup und genauso süß. Es gab Champagner und Erdbeer-Sorbet, und wir haben getanzt …« Sie seufzte. »Damals hätten Sie mich mal sehen sollen, Vianne. Das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen. Er hat gesagt, ich sähe aus wie Greta Garbo, dieser Charmeur, und wir taten beide so, als hätte er es ernst gemeint.« Sie lachte in sich hinein. »Natürlich war er kein Mann zum Heiraten«, sinnierte sie. »Damit haben solche Männer nichts im Sinn.«
Ich liege fast jeden Abend noch lange wach, währendTrüffel und Pralinen vor meinen Augen tanzen. Anouk schläft in ihrem neuen Zimmer unter dem Dach, und ich träume mit offenen Augen, nicke ein, wache träumend auf, döse vor mich hin, bis meine Augenlider schmerzen und das Zimmer um mich herum schwankt wie ein Schiff auf hoher See. Nur noch ein Tag, sage ich mir, nur noch ein
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