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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Arm.
    »Geben Sie die Hoffnung nicht auf, Muscat«, sagte ich, meinen Ekel überwindend. »Auf diese Weise können Sie sie nicht zurückgewinnen. Sie dürfen nicht vergessen, daß es in jeder Ehe Krisen gibt, aber –«
    Er schnaubte verächtlich.
    »Eine Krise? Das ist es also?« Er lachte in sich hinein. »Wissen Sie was, Vater? Geben Sie mir fünf Minuten allein mit dieser Schlampe, dann werd ich ihr die Krise schon austreiben. Ich hole sie mir zurück, da können Sie Gift drauf nehmen.«
    Er wirkte dumm und bösartig, kaum in der Lage, seine Worte bei dem Haifischgrinsen zu artikulieren. Ich packte ihn an den Schultern und sprach jedes Wort deutlich aus, in der Hoffnung, daß wenigstens ein Teil von dem, was ich sagte, zu ihm vordringen würde.
    »Das werden Sie nicht «, sagte ich ihm ins Gesicht, ohne mich um die stumm glotzenden Säufer hinter mir zu kümmern. »Sie werden sich anständig verhalten, Muscat, Sie werden korrekt vorgehen, wenn Sie etwas unternehmen wollen, und Sie werden die beiden Frauen nicht anrühren ! Kapiert?«
    Meine Finger bohrten sich in seine Schultern. Muscat protestierte und warf mir Obszönitäten an den Kopf.
    »Ich warne Sie, Muscat«, sagte ich. »Ich habe Ihnen eine Menge durchgehen lassen, aber ich werde es nicht hinnehmen, wenn Sie sich in aller Öffentlichkeit wie ein Schläger aufführen. Haben Sie mich verstanden?«
    Er brummte etwas in seinen Bart; ob es eine Drohung oder eine Entschuldigung war, konnte ich nicht verstehen. Anfangs dachte ich, er hätte gesagt, Es tut mir leid , aberim nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob er nicht sagte, Es wird Ihnen noch leid tun . Seine Augen funkelten böse durch seine halbvergossenen Tränen.
    Leid tun . Aber wem wird es leid tun? Und was ?
    Als ich nach Les Marauds hinuntereilte, fragte ich mich erneut, ob ich die Zeichen falsch gedeutet hatte. War es ihm zuzutrauen, daß er sich selbst Gewalt antat? Sollte ich, in meinem Bemühen, weiteres Unheil zu verhindern, nicht gesehen haben, daß der Mann am Rande der Verzweiflung war? Als ich vor dem Café de la République ankam, war es geschlossen, doch ein paar Leute standen vor dem Haus und schauten zu einem der Fenster im ersten Stock hinauf. Ich sah Caroline Clairmont und Joline Drou unter ihnen. Auch Duplessis war da, eine kleine, würdige Gestalt in seinem Filzhut und mit dem Hund, der um ihn herumtollte. Über dem allgemeinen Gemurmel meinte ich eine höhere, schrillere Stimme zu hören, die lauter und leiser wurde, hin und wieder Worte zu formulieren schien, Sätze, dann ein Schrei …
    »Vater.« Caro klang atemlos, sie wirkte erhitzt. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte mich an die rehäugigen, ewig japsenden Schönheiten auf den Titelseiten gewisser Hochglanzmagazine auf den oberen Regalen, und der Gedanke ließ mich erröten.
    »Was ist los?« fragte ich knapp. »Muscat?«
    »Es ist Joséphine«, sagte Caro aufgeregt. »Muscat hat sie oben in dem Zimmer eingesperrt, Vater, sie schreit um Hilfe.«
    Noch während sie sprach, drangen erneut Geräusche aus dem Fenster – Schreie, Flüche und lautes Poltern –, und gleich darauf wurden Gegenstände hinausgeworfen, die auf dem Pflaster zerschellten. Eine Frauenstimme kreischte in Tönen, die Glas hätten zum Zerbersten bringen können – jedoch nicht vor Angst, wie mir schien, sondern vor wilder, unbändiger Wut –, gefolgt von einem weiteren Bombardement mit Hausratutensilien. Bücher, Kleider, Schallplatten, Bilderrahmen … die profane Artillerie häuslicher Gemütlichkeit.
    Ich rief zum Fenster hinauf.
    »Muscat? Können Sie mich hören? Muscat! «
    Ein leerer Vogelkäfig kam durch die Luft geflogen.
    » Muscat! «
    Es kam keine Antwort aus dem Haus. Die Stimmen der beiden Kontrahenten klingen beinahe unmenschlich – wie die eines Trolls und einer Harpyie –, und einen Moment lang fühle ich mich unwohl in meiner Haut, als wäre die Welt noch ein Stück weiter in den Schatten gerückt und die Dunkelheit, die uns vom Licht trennt, größer geworden. Was würde ich zu sehen bekommen, wenn ich die Tür öffnete?
    Eine schreckliche Sekunde lang kehrt die Erinnerung zurück, und ich bin wieder dreizehn und öffne die Tür zu dem alten Kirchenanbau, den einige heute immer noch die Kanzlei nennen, trete von dem dämmrigen Zwielicht der Kirche in tiefere Düsternis, meine Füße fast lautlos auf dem Parkett, und in meinen Ohren das seltsame Stöhnen eines unsichtbaren Ungeheuers im Nebenraum. Ich öffne die Tür mit wild

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