Chocolat
andere Sache, den Vorfall mit den Zigeunern, erwähne ich ihr gegenüber nicht, doch auch daran muß ich denken. Armande hat Verdacht geschöpft. Sie könnte anfangen zu reden, und sei es nur aus Gehässigkeit. Und dann diese andere Sache, die längst vergessen ist und einzig in ihrem Kopf noch herumspukt … Nein. Ich fühle mich hilflos. Schlimmer noch, ich bin gezwungen, mich nach außen hin nachsichtig zu geben und so zu tun, als hätte ich nichts gegen das Fest. Andernfalls wird es Gerede geben, und wer weiß, was dabei alles ans Tageslicht kommt? Morgen werde ich in meiner Predigt Toleranz fordern, die Flut, die ich ins Rollen gebracht habe, aufhalten und dafür sorgen, daß sie ihre Meinung ändern. Die verbliebenen Flugblätter werde ich verbrennen. Die Plakate, die von Lansquenet bis Montauban geklebt werden sollten, müssen ebenfalls vernichtet werden. Es bricht mir das Herz, Vater, aber was bleibt mir übrig? Der Skandal würde mich umbringen.
Es ist Karwoche. Nur noch eine Woche bis zum Fest. Und sie hat gewonnen, mon père . Sie hat gewonnen. Nur ein Wunder kann uns jetzt noch retten.
Mittwoch, 26. März
Immer noch keine Spur von Muscat. Am Montag hat Joséphine sich fast den ganzen Tag nicht aus dem Laden getraut, aber gestern früh beschloß sie, noch einmal zum Café zu gehen. Diesmal hat Roux sie begleitet, doch sie fanden nichts anderes vor als das Chaos von Sonntag. Anscheinend stimmt das Gerücht. Muscat ist verschwunden.
Roux ist inzwischen fertig mit Anouks Zimmer unter dem Dach und hat bereits mit der Arbeit am Café angefangen. Er hat ein neues Schloß in die Haustür eingebaut, den alten Linoleumboden herausgerissen und die vergilbten Gardinen von den Fenstern genommen. Mit ein bißchen Mühe, meint er – frisches Weiß an den Wänden, ein bißchen Farbe für die alten, abgewetzten Möbel, jede Menge Wasser und Seife –, könne man das Café wieder in eine helle, freundliche Gaststube verwandeln. Er hat Joséphine angeboten, kostenlos für sie zu arbeiten, aber davon will sie nichts wissen. Muscat hat natürlich ihr gemeinsames Konto leergeräumt, aber sie hat noch ein bißchen eigenes Geld, und sie ist davon überzeugt, daß das neue Café ein Erfolg werden wird. Das alte, verblaßte Schild mit der Aufschrift Café de la République hat sie von Roux entfernen und an seiner Stelle ein handgemaltes Schild mit dem neuen Namen Café des Marauds und eine rot-weiß-gestreifte Markise – die gleiche wie an meinem Laden – anbringen lassen. Narcisse hat die schmiedeeisernen Blumenkästen mit Hängegeranien bepflanzt, deren leuchtend rote Knospen sich in der warmen Sonne bereits geöffnet haben. Von ihrem Garten am Fuß des Hügels aus betrachtet Armande die Veränderungen mit Wohlwollen.
»Sie ist eine tüchtige Frau«, erklärt sie mir auf ihre brüske Art. »Sie wird es schaffen, jetzt, wo sie endlich diesen versoffenen Ehemann losgeworden ist.«
Roux wohnt vorübergehend in Joséphines Gästezimmer,und Luc ist, sehr zum Verdruß seiner Mutter, zu Armande gezogen.
»Das ist kein Zuhause für dich«, giftet sie mit schriller Stimme. Ich stehe gerade auf dem Dorfplatz, als die beiden aus der Kirche kommen, Luc in seinem Sonntagsanzug und Caro in einem ihrer zahllosen pastellfarbenen Kostüme und einem seidenen Kopftuch.
Seine Antwort ist höflich, aber unumstößlich.
»N-nur bis zu ihrer P-Party«, sagt er. »Es ist n-niemand da, der sich um sie kümmert. S-Sie könnte schließlich noch mal so einen A-Anfall bekommen.«
»Blödsinn!« erwidert sie wegwerfend. »Ich kann dir sagen, was sie will. Sie versucht, einen Keil zwischen uns beide zu treiben. Ich verbiete dir, diese Woche bei ihr zu bleiben. Und was diese lächerliche Party angeht –«
»D-Das kannst du mir nicht verbieten, M-Maman.«
»Und warum nicht? Du bist mein Sohn , verflixt noch mal, wie kommst du dazu, mir ins Gesicht zu sagen, daß du lieber auf diese verrückte Alte hörst als auf mich?« Tränen der Wut schießen ihr in die Augen. Ihre Stimme zittert.
»Ist schon gut, Maman.« Ohne sich von ihrem Theater beeindrucken zu lassen, legt er ihr einen Arm um die Schultern. »Es ist ja nicht für lange. Nur bis zur Party. Ich v-versprech’s dir. Du bist übrigens auch eingeladen. Sie würde sich freuen, w-wenn du kämst.«
»Ich will aber nicht hingehen!« Ihre Stimme klingt nun trotzig und weinerlich wie die eines Kindes. Er zuckt die Achseln.
»Dann eben nicht. Aber dann erwarte auch nicht, daß sie
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