Chocolat
Leiter besorgt. Warten Sie einen Moment.« Ich ging in die Küche und holte Poitous alten Sessel.
»Probieren Sie’s mal mit dem.«
Armande setzte sich auf die Sesselkante und nahm die Tasse in beide Hände. Sie wirkte begierig wie ein Kind, mit leuchtenden Augen und entzücktem Gesichtsausdruck.
» Mmmm .« Es war mehr als Freude. Es war beinahe Ehrfurcht. » Mmmmmm .« Mit geschlossenen Augen probierte sie das Getränk. Es war fast beängstigend, wie sehr sie das Vergnügen genoß.
»Unübertrefflich.« Einen Augenblick lang hielt sie inne, die Augen halb geschlossen. »Da ist Sahne drin und – Zimt, würde ich sagen – und was noch? Tia Maria? «
»Fast«, sagte ich.
»Was verboten ist, schmeckt sowieso am besten«, erklärte Armande und wischte sich zufrieden den Schaum von den Lippen. »Aber das …« Sie nahm gierig noch einen Schluck. »Das ist besser als alles, an das ich mich erinnern kann, selbst aus meiner Kindheit. Ich wette, in dieser Tasse stecken zehntausend Kalorien. Ach was, noch mehr.«
»Warum sollte es verboten sein?« Ich war neugierig. Klein und rund wie ein Rebhuhn, wie sie war, konnte ich mir kaum vorstellen, daß sie so fanatisch auf ihre Figur achtete wie ihre Tochter.
»Ach, die Ärzte«, sagte sie wegwerfend. »Sie wissen ja, wie die sind. Die verbieten einem alles.« Sie trank noch einen Schluck. »Ah, das ist gut. Gut . Caro versucht seit Jahren, mich in irgend so ein Heim abzuschieben. Es gefällt ihr nicht, mich gleich nebenan wohnen zu haben. Sie will nicht daran erinnert werden, woher sie stammt.«
Sie kicherte in sich hinein. »Sie behauptet, ich sei krank. Ich könnte nicht auf mich selbst aufpassen. Schickt mir diesen Quacksalber, der mir vorschreiben will, was ich essendarf und was nicht. Man sollte meinen, sie wollten unbedingt, daß ich ewig lebe.«
Ich lächelte.
»Ich bin sicher, daß Caroline es nur gut mit Ihnen meint«, sagte ich.
Armande warf mir einen spöttischen Blick zu.
»Ach, wirklich?« Sie stieß ein ordinäres Lachen aus. »Verschonen Sie mich damit, meine Liebe. Sie wissen ganz genau, daß meine Tochter einzig und allein an ihr eigenes Wohlergehen denkt. Mir kann man nichts vormachen.« Ihr Blick wurde durchdringend. »Es geht mir nur um den Jungen«, sagte sie.
»Den Jungen?«
Armande nickte und trank noch einen Schluck.
»Er heißt Luc. Mein Enkel. Er wird im April vierzehn. Vielleicht haben Sie ihn schon mal auf dem Dorfplatz gesehen.«
Ich erinnerte mich vage, ihn schon einmal gesehen zu haben; ein farbloser Junge, zu korrekt in seiner frischgebügelten grauen Flanellhose und seiner Tweedjacke, kühle, graugrüne Augen und glattes, aschblondes Haar. Ich nickte.
»Ich habe ihn in meinem Testament zum Alleinerben eingesetzt«, erklärte mir Armande. »Eine halbe Million Francs, die bis zu seinem achtzehnten Geburtstag treuhänderisch verwaltet werden sollen.« Sie zuckte die Achseln. »Ich sehe ihn nie«, fügte sie hinzu. »Caro erlaubt es nicht.«
Ich habe sie zusammen gesehen. Jetzt erinnere ich mich wieder; auf dem Weg zur Kirche, die Mutter am Arm des Jungen. Er ist der einzige unter den Kindern von Lansquenet, der noch nie etwas in meinem Laden gekauft hat, ich meine allerdings, ihn ein- oder zweimal am Fenster stehen gesehen zu haben.
»Er hat mich zum letztenmal besucht, als er zehn Jahre alt war.« Armandes Stimme klang seltsam tonlos. »Es kommt mir so vor, als sei das hundert Jahre her.« Sie trankihre Tasse aus und stellte sie dann mit Nachdruck auf die Theke. »Es war an seinem Geburtstag. Ich habe ihm ein Buch mit Gedichten von Rimbaud geschenkt. Er war sehr – höflich.« Ihr Ton wurde bitter. »Natürlich bin ich ihm seitdem ein paarmal auf der Straße begegnet«, sagte sie. »Ich kann mich nicht beklagen.«
»Warum besuchen Sie ihn nicht?« fragte ich neugierig. »Gehen mit ihm spazieren, reden mit ihm, versuchen, ihn besser kennenzulernen?«
Armande schüttelte den Kopf.
»Caro und ich haben uns miteinander überworfen.« Plötzlich verfiel sie in einen jammernden Tonfall. Ihr Lächeln war verschwunden, und sie wirkte mit einemmal entsetzlich alt. »Sie schämt sich für mich. Der Himmel weiß, was sie dem Jungen alles erzählt.« Sie schüttelte den Kopf und schaute ins Leere. »Nein. Es ist zu spät. Ich sehe es an seinem Blick – diesem höflichen Blick –, an den artigen, nichtssagenden Weihnachtskarten, die er mir schickt. So ein wohlerzogener Junge.« Ihr Lachen war bitter. »So ein höflicher,
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