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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Ein halbes Dutzend Metalltische vor dem Haus, ein verschossener Orangina-Sonnenschirm. Ein uraltes Schild über dem Eingang: Café de la République . Die Kleine nimmt ihre Tüte, wendet sich zum Gehen, zögert, dreht sich noch einmal um. » Seine Lieblingssorte kriegen Sie nie raus«, sagt sie. »Er hat nämlich keine.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwidere ich lächelnd. »Jeder hat eine Lieblingssorte. Sogar Monsieur Muscat.«
    Lucie überlegt.
    »Vielleicht ist seine Lieblingssorte die, die er anderen Leuten wegnimmt«, sagt sie. Und schon ist sie aus der Tür und winkt noch einmal zum Abschied durch das Schaufenster.
    »Sag Anouk, wir gehen nach der Schule nach Les Marauds !«
    »Mach ich.« Les Marauds . Ich frage mich, was sie dort so interessant finden. Der Fluß mit seinen braunen,stinkenden Ufern. Die engen Gassen voller Unrat. Eine Oase für Kinder. Höhlen, kleine, flache Steine, die man über das Wasser hüpfen lassen kann. Geflüsterte Geheimnisse, Schwerter aus Stöcken und Schilde aus Rhabarberblättern. Kriegsspiele zwischen dornigen Brombeerranken, Tunnel, Entdecker, streunende Hunde, Gerüchte, erbeutete Schätze … Gestern kam Anouk fröhlich und aufgekratzt aus der Schule und zeigte mir ein Bild, das sie gemalt hatte.
    »Das bin ich.« Eine Gestalt in einer roten Latzhose mit wild hingekritzeltem schwarzem Haar. »Pantoufle.« Das Kaninchen sitzt auf ihrer Schulter wie ein Papagei, die Ohren aufgestellt. »Und Jeannot.« Ein Junge in Grün mit ausgestreckter Hand. Beide Kinder lächeln. Mütter – auch Lehrerinnen, die Mütter sind –, scheinen in Les Marauds nicht erwünscht zu sein. Die Knetgummipuppe sitzt noch immer neben Anouks Bett, und das Bild hat sie darüber an die Wand geheftet.
    »Pantoufle hat mir gesagt, was ich tun soll.« Sie hebt ihn auf und hält ihn lässig im Arm. In diesem Licht kann ich ihn deutlich erkennen, er sieht aus wie ein Kind mit Schnurrhaaren. Manchmal sage ich mir, ich sollte ihr dieses Phantasieren abgewöhnen, doch ich bringe es nicht übers Herz, ihr soviel Einsamkeit zuzumuten. Wenn wir hier bleiben, wird Pantoufle vielleicht eines Tages wirklicheren Spielkameraden weichen.
    »Ich freue mich, daß ihr doch Freunde geblieben seid«, sagte ich zu ihr und küßte ihren Lockenkopf. »Frag Jeannot, ob er Lust hat, demnächst mit herzukommen und uns beim Ausräumen des Schaufensters zu helfen. Du kannst auch noch mehr Freunde mitbringen.«
    »Das Lebkuchenhaus?« Ihre Augen leuchteten wie Sonnenlicht auf dem Wasser. »Au ja!« Dann rannte sie ausgelassen los, stieß beinahe einen Hocker um, wich mit einem riesigen Satz einem Phantasiehindernis aus und dann ging’s die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend. »Um die Wette, Pantoufle!« Ein Krachen, als die Tür gegen dieWand flog – bumm-bumm ! Eine Welle der Liebe zu ihr, die mich plötzlich und unerwartet überwältigt, wie immer. Meine kleine Fremde. Immer sprudelnd, immer in Bewegung.
    Während ich mir noch eine Tasse Schokolade einschenkte, hörte ich die Türglocke läuten und drehte mich um. Eine Sekunde lang sah ich sein Gesicht unverstellt, den taxierenden Blick, das vorgereckte Kinn, die gestrafften Schultern, die blauen Venen auf seinen glänzenden Unterarmen. Dann lächelte er, ein dünnes Lächeln ohne Wärme.
    »Monsieur Muscat, richtig?« Ich fragte mich, was er wollte. Er wirkte fehl am Platze, beäugte die Auslagen mit gesenktem Kopf. Er sah mich an, schaute mir aber nicht ins Gesicht, sondern ließ seinen Blick kurz zu meinen Brüsten wandern; einmal; noch einmal.
    »Was wollte sie?« Er sprach leise, mit starkem Akzent. Ungläubig den Kopf schüttelnd, fuhr er fort: »Was zum Teufel hat sie in einem solchen Laden zu suchen?« Er deutete auf ein Tablett mit Schokomandeln zu fünfzig Francs die Tüte. »Wahrscheinlich so was, wie?« Er breitete die Hände aus. »Hochzeiten und Taufen. Was will sie mit Zeug, das man zu Hochzeiten und Taufen verschenkt?« Dann lächelte er wieder dieses verblüffte, fragende Lächeln, doch seine rotunterlaufenen Augen funkelten eiskalt. »Sagen Sie’s mir.« Und dann schmeichelnd, ein vergeblicher Versuch, charmant zu wirken. »Was hat sie gekauft?«
    »Ich nehme an, Sie meinen Joséphine.«
    »Meine Frau.« Er sprach die Worte mit einem seltsamen Unterton aus, mit einer Art kategorischer Endgültigkeit. »So sind die Weiber. Man arbeitet sich halb tot, um das Geld ranzuschaffen, und was machen sie? Werfen es aus dem Fenster für …« Er

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