Chocolat
auf mich herabzustürzen droht.
Ist das der Zweifel, mon père ? Diese Stille in meinem Innern, diese Unfähigkeit zu beten, geläutert zu werden, Demut zu empfinden … ist das meine Schuld? Ich schaue mich in der Kirche um, die mein Lebensinhalt ist, und möchte Liebe für sie empfinden. Liebe, wie Sie sie empfunden haben, für die Heiligenfiguren – der heilige Hieronymus mit seiner abgeschlagenen Nase, die lächelnde Madonna, Johanna von Orleans mit ihrem Banner, der heilige Franziskus mit seinen gemalten Tauben. Ich selbst mag Vögel nicht. Vielleicht ist das eine Sünde gegen meinen Namenspatron, aber ich kann mir nicht helfen. Der Dreck, den sie verursachen – selbst am Kirchenportal, die getünchten Wände sind mitihren grünlichen Exkrementen besudelt –, und der Lärm, den sie machen – das Gegurre während der Messe … Ich lege Gift aus für die Ratten, die in die Sakristei eindringen und die Gewänder anfressen. Sollte ich nicht ebenso die Tauben vergiften, die meinen Gottesdienst stören? Ich habe es versucht, Vater, aber ohne Erfolg. Vielleicht beschützt sie der heilige Franziskus.
Wenn ich nur nicht so unwürdig wäre. Meine Unwürdigkeit quält mich, und meine Intelligenz – die der meiner Anbefohlenen weit überlegen ist – dient nur dazu, meine Schwäche zu verstärken, die Unzulänglichkeit des Werkzeugs, das Gott ausersehen hat, ihm zu dienen. Ist das meine Bestimmung? Ich habe von höheren Dingen geträumt, von Opfer und Martyrium. Statt dessen vergeude ich meine Zeit mit beklemmenden Ängsten, die meiner und Ihrer unwürdig sind.
Meine Sünde ist die Kleinlichkeit, Vater. Deswegen schweigt Gott in Seinem Haus. Ich weiß das, aber ich weiß nicht, wie ich das Übel überwinden kann. Ich habe mir noch größere Strenge für die Fastenzeit auferlegt und übe mich auch an den Tagen im Fasten, an denen Erleichterung gestattet ist. Heute zum Beispiel habe ich meinen Sonntagswein an die Hortensien gegossen und fühlte mich gleich gestärkt. Von nun an werde ich mir nichts als Kaffee und Wasser zu den Mahlzeiten gestatten, und den Kaffee werde ich schwarz und ohne Zucker trinken, um den bitteren Geschmack zu verstärken. Heute habe ich Karottensalat mit Oliven gegessen – Wurzeln und Beeren, wie es sich für das Leben in der Wildnis geziemt. Zugegeben, ich verspüre jetzt einen leichten Schwindel, aber das Gefühl ist nicht unangenehm. Gleichzeitig habe ich Schuldgefühle, weil selbst meine Entsagung mir Genuß bereitet, und ich habe beschlossen, mich der Versuchung auszusetzen. Ich werde fünf Minuten lang vor dem Schaufenster der rôtisserie verweilen und zusehen, wie sich die Brathähnchen am Spieß drehen. Sollte Arnaud mich verspotten, um so besser. Eigentlichmüßte er sowieso während der Fastenzeit geschlossen haben.
Und was Vianne Rocher angeht … Ich habe während der vergangenen Tage kaum an sie gedacht. Wenn ich an ihrem Laden vorübergehe, wende ich meinen Blick ab. Ihr Geschäft geht gut, obwohl Fastenzeit ist und die Rechtschaffenen unter den Bürgern von Lansquenet ihre Anwesenheit mißbilligen, aber das liegt sicherlich allein daran, daß solch ein Laden etwas völlig Neues für unser Dorf ist. Das wird sich mit der Zeit geben. Unsere Gemeindemitglieder haben kaum genug Geld, um ihre täglichen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne daß sie zusätzlich noch einen Laden subventionieren, der besser in eine Großstadt paßt.
La Céleste Praline . Allein der Name ist ein bewußter Affront. Ich werde mit dem Bus nach Agen fahren und mich bei der Vermieterin beschweren. Sie hätte nie einen Mietvertrag bekommen dürfen. Die zentrale Lage des Ladens garantiert einen gewissen Erfolg, leistet der Versuchung Vorschub. Man sollte den Bischof informieren. Er besitzt größeren Einfluß als ich, den er vielleicht geltend machen kann. Ich werde ihm heute noch schreiben.
Ich sehe sie manchmal auf der Straße. Sie trägt einen gelben Regenmantel mit grünen Gänseblümchen drauf, ein Kleidungsstück, das für ein Kind passend wäre, aber an einer erwachsenen Frau unziemlich wirkt. Nie bedeckt sie ihr Haar, nicht einmal bei Regen, wenn es glänzt wie ein Robbenfell. Wenn sie unter ihre Markise tritt, wringt sie es aus wie ein langes Seil. Häufig stehen Leute unter der Markise, wo sie Schutz vor dem endlosen Regen suchen, und betrachten die Auslagen im Schaufenster. Sie hat inzwischen einen elektrischen Heizofen aufgestellt, nahe genug an der Theke, um angenehme Wärme zu
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