Chocolat
deutete erneut auf die Regale voller Pralinen, Trüffel, Marzipanfrüchte, Silberpapier, Seidenblumen. »Was war es, ein Geschenk?« Mißtrauen lag in seiner Stimme. »Für wen kauft sie Geschenke? Für sich selbst?« Er lachte kurz auf, als sei allein der Gedanke absurd.
Ich wußte nicht, was ihn das anging. Aber in seiner Art lag etwas Aggressives, sein Blick und seine Gesten waren so nervös, daß ich beschloß, mich vorzusehen. Nicht meinetwegen – ich hatte in den Jahren mit meiner Mutter gelernt, auf mich aufzupassen –, sondern ihretwegen. Bevor ich mich dagegen wehren konnte, sah ich ein Bild vor mir; ein blutiger Knöchel, aus Rauch geformt. Ich ballte die Fäuste hinter Theke. Dieser Mann hatte nichts, was ich sehen wollte.
»Ich glaube, Sie haben da etwas mißverstanden«, erklärte ich ihm. »Ich habe Joséphine auf eine Tasse Schokolade eingeladen. Als Freundin.«
»Ach so.« Einen Augenblick lang schien er verblüfft. Dann stieß er erneut sein bellendes Lachen aus. »Als Freundin, wie?« Das Lachen war fast echt, es amüsierte ihn tatsächlich, und gleichzeitig war er voller Verachtung. » Sie wollen eine Freundin von Joséphine sein?« Wieder dieser taxierende Blick. Ich spürte, wie er uns miteinander verglich, wie sein geiler Blick erneut zu meinen Brüsten wanderte. Dann erkundigte er sich mit schmalziger, schmeichelnder Stimme, die wohl verführerisch klingen sollte: »Sie sind neu hier, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Vielleicht sollten wir mal zusammen ausgehen. Um uns besser kennenzulernen, wissen Sie.«
»Vielleicht«, erwiderte ich gelassen. »Dann könnten Sie ja auch Ihre Frau mitbringen.«
Schweigen. Er starrte mich an, diesmal mißtrauisch, verschlagen.
»Sie hat doch nichts erzählt, oder?«
Ausdruckslos: »Was denn?«
Kurzes Kopfschütteln.
»Nichts, nichts. Sie redet einfach viel, das ist alles. Redet ohne Ende.« Der arrogante Ton war wieder da. »Von morgens bis abends.« Kurzes, freudloses Auflachen. »Aber das werden Sie bald selber merken«, fügte er mit säuerlicher Genugtuung hinzu.
Ich murmelte etwas Unverfängliches. Dann, einer spontanen Eingebung folgend, holte ich eine kleine Tüte Schokomandeln unter der Theke hervor und reichte sie ihm.
»Würden Sie die bitte für Joséphine mitnehmen?« sagte ich beiläufig. »Ich wollte sie ihr heute morgen geben, habe es aber vergessen.«
Er schaute mich an, rührte sich jedoch nicht.
»Sie ihr geben ?« wiederholte er.
»Ja. Ein Geschenk des Hauses.« Ich schenkte ihm mein gewinnendstes Lächeln.
Grinsend nahm er die hübsche silberne Tüte.
»Ich werde dafür sorgen, daß sie sie bekommt«, sagte er, während er sich die Tüte in die Hosentasche stopfte.
»Es ist ihre Lieblingssorte«, erklärte ich ihm.
»Sie werden es mit Ihrem Laden nicht weit bringen, wenn Sie Ihren Kram verschenken«, sagte er. »Ein Monat, und Sie sind pleite.« Wieder der harte, gierige Blick, als sei ich eine Schokoladenfigur, die er am liebsten gleich auspacken würde.
»Wir werden sehen«, sagte ich höflich und sah ihm nach, als er den Laden verließ und lässig wie James Dean über den Platz davonschlenderte. Er war noch nicht einmal außer Sichtweite, da sah ich ihn schon das Tütchen für Joséphine aus der Tasche ziehen und öffnen. Vielleicht dachte er sich, daß ich ihm nachschaute. Eins; zwei; drei; scheinbar gelangweilt ging seine Hand immer wieder zu seinem Mund, und bevor er am anderen Ende des Platzes angekommen war, hatte er die Schokomandeln aufgegessen und die Tüte in seiner Faust zusammengeknüllt. Er kam mir vor wie ein gieriger Hund, der sich beeilt, sein Futter aufzufressen, um sich dann über den Napf eines anderen Hundes herzumachen. Als er an der Bäckerei vorbeikam, warf er die zerknüllte Tüte in Richtung des Mülleimers neben der Tür, traf jedoch nur den Rand, und die silberne Kugel rollte über das Pflaster. Dann ging er, ohne sich noch einmal umzudrehen, mit lässig schwingenden Armen an derKirche vorbei und die Avenue des Francs Bourgeois hinunter. Seine schweren Stiefel schlugen bei jedem Schritt über das Kopfsteinpflaster kleine Funken.
Freitag, 21. Februar
Über Nacht wurde es wieder kälter. Die Wetterfahne auf der Kirchturmspitze drehte sich die ganze Nacht hektisch und unentschlossen hin und her und quietschte in ihrer rostigen Halterung, wie um vor Eindringlingen zu warnen. Im dichten Morgennebel wirkte selbst der Kirchturm in zwanzig Schritten Entfernung schemenhaft und gespenstisch, und das
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