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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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noch hier war … Ihre Frau … sie wollte uns –«
    »Meine Frau kann mich mal!« schrie Muscat. »Die Alte ist doch dümmer als die Polizei erlaubt! Es ist mein Name, der über der Tür steht, und ich sage wir haben geschlossen !« Er war hinter der Theke hervorgekommen und standjetzt, die Fäuste in die Hüften gestemmt, in der Tür wie ein übergewichtiger Revolverheld aus einem drittklassigen Western. Ich sah seine gelblich glänzenden Knöchel und hörte seinen pfeifenden Atem. Seine Züge waren wutverzerrt.
    »Verstehe«, sagte Roux mit ausdruckslosem Gesicht. Bedächtig betrachtete er die Gäste, die an den Tischen saßen. »Geschlossen.« Noch einmal blickte er in die Runde. Unsere Augen trafen sich kurz. »Für uns geschlossen«, sagte er ruhig.
    »Ihr seid ja gar nicht so blöd, wie ihr ausseht«, sagte Muscat hämisch. »Das letzte Mal haben wir schon genug Ärger mit eurer Sorte gehabt. Diesmal lassen wir uns das nicht mehr bieten.«
    »Okay.« Roux wandte sich zum Gehen. Muscat trat noch zwei Schritte vor, steifbeinig wie ein Hund, der einen Kampf wittert.
    Ich ließ meinen halb ausgetrunkenen Kaffee auf dem Tisch stehen und ging wortlos an ihm vorbei. Ich hoffe, er erwartete kein Trinkgeld.
    Auf halbem Weg die Avenue des Francs Bourgeois hinunter holte ich die kleine Gruppe ein. Es hatte wieder angefangen zu nieseln, und die fünf wirkten verfroren und niedergeschlagen. Jetzt sah ich ihre Boote unten am Ufer in Les Marauds , etwa zwei Dutzend … eine kleine Flotte grüner, gelber, blauer, weißer, roter Hausboote, einige mit Leinen voller feuchter Wäsche, andere mit bunten Szenen aus Tausendundeiner Nacht , mit Bildern von fliegenden Teppichen und Einhörnern bemalt, die sich in dem trüben grünen Wasser spiegelten.
    »Es tut mir leid, daß man Sie so behandelt«, sagte ich. »Die Leute in Lansquenet-sous-Tannes sind nicht besonders gastfreundlich.«
    Roux musterte mich eindringlich.
    »Ich heiße Vianne«, sagte ich. »Ich habe eine chocolaterie gegenüber der Kirche. La Céleste Praline .« Er schaute mich stumm an. Ich erkannte mich selbst in seinem betontausdruckslosen Gesicht. Ich hätte ihm – ihnen allen – gern gesagt, daß mir ihre Wut und ihre Demütigung vertraut waren, daß ich sie am eigenen Leib erfahren hatte, daß sie nicht allein waren. Aber ich wußte auch um ihren Stolz, ihren sinnlosen Trotz, der übrigbleibt, wenn einem alles andere ausgetrieben wurde. Ich wußte, daß Mitgefühl das letzte war, was sie wollten.
    »Kommen Sie doch morgen zu mir in den Laden«, sagte ich freundlich. »Bei mir gibt es zwar kein Bier, aber dafür sehr guten Kaffee.«
    Er sah mich an, als fürchtete er, ich wollte mich über ihn lustig machen.
    »Sie würden mir eine Freude bereiten«, sagte ich. »Ich würde Ihnen gern einen Kaffee und ein Stück Kuchen ausgeben. Ihnen allen.« Die magere Frau sah ihre Freunde an und hob die Schultern, was Roux mit einem Achselzucken erwiderte.
    »Mal sehen.« Sein Ton war unverbindlich.
    »Wir haben viel zu tun«, sagte die junge Frau keck.
    Ich lächelte. »Legen Sie eine Pause ein«, schlug ich vor.
    Wieder dieser musternde, mißtrauische Blick.
    »Mal sehen.«
    Während ich ihnen nachschaute, kam Anouk den Hügel heraufgerannt. Ihr roter Anorak flatterte im Wind wie die Flügel eines exotischen Vogels.
    »Maman, Maman! Schau mal die Boote!«
    Eine Weile blieben wir stehen und betrachteten die Boote, die flachen Lastkähne, die Hausboote mit den rostigen Dächern, den Ofenrohren, den Gemälden an den Bootswänden, den bunten Flaggen, die aufgemalten Zeichen, die gegen Unfälle und Schiffbruch schützen sollten, die kleinen Beiboote, die ausgelegten Angelschnüre, Reusen zum Fangen von Flußkrebsen, die für die Nacht aus dem Wasser gezogen worden waren, ausgefranste Schirme, die als Sichtschutz dienten, am Ufer riesige Blechtonnen, in denen Feuer angezündet worden waren, um die Mücken von den Bootenfernzuhalten. Es roch nach Holzfeuer und Benzin und gebratenem Fisch, und vom Fluß her wurde leise Musik zu uns herübergetragen, die unheimlichen, fast menschlich klagenden Töne eines Saxophons. In der Dämmerung konnte ich die Gestalt des rothaarigen Mannes erkennen, der allein an Deck eines schwarzen Hausbootes stand. Als er mich sah, hob er die Hand. Ich winkte zurück.
    Es war schon fast dunkel, als wir den Heimweg antraten. Unten in Les Marauds hatte sich ein Trommler zu dem Saxophon gesellt, und der Klang seines Instruments wurde gedämpft vom

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