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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Papierblumen, buntgefärbte hartgekochte Eier, eine Muschel aus Pappmaché – jedes Jahr dieselbe, bemalt mit Hühnchen, Osterhasen, lächelnden Kindern zwischen Butterblumen, die dann wieder sorgfältig verpackt und für das nächste Osterfest aufbewahrt wurde –, darin eine kleine Tüte mit Schokolade umhüllter Rosinen, die ich mir, wenn ich auf unserer Reise von Stadt zu Stadt nachts in fremden Hotelzimmern wach lag, genüßlich im Mund zergehen ließ, während die Neonreklame des Hotels durch die Ritzen in den Fensterläden blinkte und in der dunklen Stille nichts zu hören war als das regelmäßige Atmen meiner Mutter, die neben mir schlief.
    »Sie hat mir erzählt, daß in der Nacht zum Karfreitag die Glocken ihre Kirchtürme verlassen und mit Zauberflügeln nach Rom fliegen.« Er nickte mit dem für Heranwachsende typischen zweifelnden Blick.
    »Sie reihen sich vor dem Papst in seinem weiß-goldenen Gewand, der Mitra und dem goldenen Hirtenstab auf, große Glocken und kleine Glöckchen, clochettes und schwere bourdons , carillons und Glockenspiele, und warten geduldig auf ihren Segen.«
    Meine Mutter verfügte über einen unerschöpflichen Schatz an solchen Kindergeschichten, an deren Absurdität sie sich immer wieder von neuem ergötzte. Sie liebteGeschichten – von Jesus und Eostra und Ali Baba, wobei sie Märchenstoff und biblische Geschichte und Aberglaube untrennbar miteinander verwob. Geschichten von Wahrsagerei aus Kristallkugeln, Astralreisen, Entführungen durch Außerirdische und Selbstentzündungen – meine Mutter glaubte sie alle, oder tat jedenfalls so.
    »Und der Papst segnet sie, jede einzelne, bis spät in die Nacht, während die leeren Kirchtürme in ganz Frankreich auf ihre Rückkehr warten und bis zum Ostermorgen schweigen.« Und ich, ihre Tochter, ließ mich von ihren Worten bezaubern, lauschte mit leuchtenden Augen ihren Erzählungen von Mithras und Baldur dem Strahlenden, von Osiris und Quetzalcoatl, unentwirrbar verwoben mit Geschichten von fliegenden Süßigkeiten, fliegenden Teppichen, von der Dreifaltigen Göttin und Aladins Schatzhöhle, von dem Grab, aus dem Jesus nach drei Tagen auferstand, amen, Abrakadabra, amen.
    »Und der Segen verwandelt sich in lauter bunte Süßigkeiten, und die Glocken stellen sich auf den Kopf, fangen sie auf und nehmen sie mit nach Hause. Sie fliegen die ganze Nacht, und wenn sie am Ostersonntag in ihren Türmen ankommen, drehen sie sich um und läuten freudig das Osterfest ein …«
    Die Glocken von Paris, Rom, Köln, Prag. Morgenläuten, Trauerläuten, die immer wiederkehrende Begleitmusik in unseren Jahren des Exils. Das Osterläuten so laut in meiner Erinnerung, daß es beinahe schmerzt.
    »Und die Süßigkeiten fliegen hinaus über die Felder und die Städte. Sie regnen vom Himmel, während die Glocken läuten. Manche zerbrechen, wenn sie auf den Boden fallen. Aber die Kinder bauen weiche Nester, um die herabfallenden Ostereier und Pralinen, die Hasen und Küken aus Schokolade, die guimauves und Mandeln aufzufangen …«
    Jeannot starrt mich mit leuchtenden Augen an.
    » Cool !« sagt er grinsend.
    »Und darum gibt’s zu Ostern Süßigkeiten.«
    Seine Stimme ist voller Begeisterung, die plötzliche Gewißheit läßt ihn lauter werden.
    »Au ja, bitte , machen Sie das!«
    Ich wende mich ab und rolle eine Trüffel in Kakaopulver.
    »Was soll ich machen?«
    » Das ! Die Ostergeschichte. Das wär echt cool … mit den Glocken und dem Papst und alles … und dann könnten wir ein Schokoladenfest veranstalten, eine ganze Woche lang, und wir könnten Nester bauen – und Ostereier suchen und –« Aufgeregt zupft er an meinem Ärmel. »Madame Rocher – bitte. «
    Anouk steht immer noch hinter ihm und schaut mich erwartungsvoll an. Ein Dutzend mit Schokolade beschmierter Gesichter im Hintergrund nicken eifrig.
    »Ein Grand Festival du Chocolat .« Ich denke über den Vorschlag nach. In einem Monat wird der Flieder blühen. Ich mache jedes Jahr ein Nest für Anouk, mit einem großen Ei, auf dem in Zuckerguß ihr Name steht. Es könnte unser eigenes Karnevalsfest sein, ein Fest, mit dem wir unsere Entscheidung, hierzubleiben, feiern würden. Die Idee ist mir schon früher gekommen, aber den Vorschlag von diesem Kind zu hören, erscheint mir schon fast wie ihre Verwirklichung.
    »Wir bräuchten ein paar Plakate.« Ich gebe mich zögernd.
    »Die machen wir !« ruft Anouk aufgeregt.
    »Und Girlanden –«
    »Und Luftschlangen –«
    »Den

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