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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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hin murmelt. Bitte, komm, flüstere ich lautlos. Bitte, Armande zuliebe.
    In seinen Augen flackerte etwas auf.
    »Ich muß jetzt gehen.«
    Caroline wartete ungeduldig an der Tür.
    »Bitte, nimm das.« Ich reichte ihm ein kleines Päckchen – drei Pralinés in Silberpapier gewickelt. Der Junge hat Geheimnisse. Ich spürte, wie sie aus ihm heraus wollten. Mit schnellem Griff, so daß seine Mutter es nicht sah, nahm er das Päckchen und lächelte. Vielleicht habe ich mir die Worte nur eingebildet, die er mit den Lippen formte:
    »Sagen Sie ihr, ich werde kommen. A-am Mittwoch, wwenn Maman zum F-Friseur geht.«
    Und dann war er verschwunden.
    Ich erzählte Armande, die später am Tag vorbeischaute, von ihrem Besuch. Sie schüttelte den Kopf und brach in schallendes Gelächter aus, als ich ihr von meinem Gespräch mit Caroline berichtete.
    »Hi hi hi!« Sie hatte es sich in dem alten Sessel bequem gemacht und hielt eine Tasse Mokka in den feingliedrigen Händen. »Meine arme Caro. Kann’s nicht ertragen, wenn man ihr die Wahrheit sagt, nicht wahr?« Sie nippte genüßlich an ihrer Tasse. »Was hat sie davon, wenn sie so über mich herzieht?« fragte sie leicht gereizt. »Ihnen zu sagen, was ich essen darf und was nicht. Ich bin also Diabetikerin, wie? Das möchte ihr Arzt uns alle glauben machen.« Sie knurrte verächtlich. »Nun, ich lebe noch, oder? Ich bin vorsichtig. Aber das reicht ihnen natürlich nicht, o nein. Sie wollen mich unbedingt unter ihrer Fuchtel haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Dieser arme Junge. Er stottert, haben Sie das bemerkt?«
    Ich nickte.
    »Daran ist seine Mutter schuld«, sagte Armande verächtlich. »Wenn sie ihn bloß in Frieden gelassen hätte – aber nein. Ständig muß sie ihn korrigieren. Immer ist sie hinter ihm her. Und macht alles nur noch schlimmer. Sie gibt ihmdas Gefühl, daß irgend etwas an ihm nicht stimmt.« Sie schnaubte. »Der Junge hat nichts, was nicht sofort verschwinden würde, wenn es ihm gestattet wäre, wie ein normales Kind zu leben«, erklärte sie mit Nachdruck. »Er müßte nur mal drauflos rennen, ohne dauernd zu befürchten, er könnte stolpern. Sie müßte ihn loslassen. Ihm nicht länger die Luft zum Atmen nehmen.«
    Ich erklärte ihr, es sei normal, wenn eine Mutter ihre Kinder zu beschützen versucht.
    Armande schenkte mir einen ihrer ironischen Blicke.
    »Ach, so nennen Sie das?« sagte sie. »So wie die Mistel einen Apfelbaum beschützt?« Sie lachte in sich hinein. »Ich hatte früher Apfelbäume im Garten«, erzählte sie. »Die Misteln haben einem nach dem anderen den Garaus gemacht. Eine gemeine kleine Pflanze, sieht gar nicht gefährlich aus, mit ihren schönen Beeren, kann allein nicht überleben, aber wehe, wenn sie einen Baum erwischt!« Sie nippte an ihrem Mokka. »Sie ist Gift für alles, was mit ihr in Berührung kommt.« Sie nickte mir vielsagend zu. »Genau wie meine Caro.«
    Nach dem Mittagessen habe ich Guillaume kurz gesprochen. Er war unterwegs zum Zeitungsladen. Guillaume ist süchtig nach Filmzeitschriften, obwohl er nie ins Kino geht, und er kauft sich jede Woche einen ganzen Stapel davon. Vidéo und Ciné-Club , Télérama und Film Express . Als einziger im Dorf besitzt er eine Satellitenschüssel, und in seinem ansonsten spärlich eingerichteten kleinen Haus hat er einen Breitbildfernseher und einen Videorecorder von Toshiba, beides in eine Regalwand eingebaut, die bis an die Decke mit Videofilmen gefüllt ist. Mir fiel auf, daß er seinen Hund wieder auf dem Arm trug, der mit trüben Augen teilnahmslos dreinblickte. Auf seine übliche liebevolle Art streichelte er immer wieder Charlys Kopf.
    »Wie geht es ihm?« fragte ich.
    »Oh, er hat seine guten Tage«, sagte Guillaume. »Es stecktimmer noch eine Menge Leben in ihm.« Und dann setzten sie ihren Weg fort, der kleine, elegante Mann und sein trauriger brauner Hund, den er umklammert hielt, als hinge sein Leben von ihm ab.
    Joséphine Muscat ging am Laden vorbei, kam aber nicht herein. Ich war ein bißchen enttäuscht, denn ich hatte gehofft, noch einmal mit ihr reden zu können. Doch sie warf mir nur im Vorbeigehen einen ausdruckslosen Blick zu, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Mir fiel auf, daß ihr Gesicht geschwollen wirkte, die Augen zu Schlitzen verengt, was allerdings am eiskalten Regen gelegen haben kann, die Lippen zusammengepreßt. Sie hatte sich ein dickes, farbloses Kopftuch wie einen Verband um den Kopf gewickelt. Ich rief sie an, doch sie

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