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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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unnatürlich geschärft, so daß ich die einzelnen Gerichte beinahe schmecken konnte – den gegrillten Fisch, den gerösteten Ziegenkäse, die dunklen Pfannkuchen und den leichten, warmen Schokoladenkuchen, den confit de canard und die scharf gewürzten merguez -Würstchen … Ich konnte Armandes Stimme aus den anderen heraushören; ihr Lachen war ungewöhnlich schrill, wie das eines übermüdeten Kindes. Die Laternen und Kerzen, die überall am Ufer brannten, leuchteten wie Weihnachtsschmuck.
    Anfangs hielt ich den Alarmruf für einen Freudenschrei. Ein kurzer, heller Ton, ein Auflachen vielleicht oder ein hysterisches Kreischen. Einen Augenblick lang dachte ich, eines der Kinder sei ins Wasser gefallen. Dann sah ich das Feuer.
    Es war auf einem der Boote ausgebrochen, die in einiger Entfernung von den Nachtschwärmern dicht am Ufer lagen. Eine umgefallene Laterne vielleicht, eine achtlos weggeworfene Zigarette, brennendes Kerzenwachs, das auf einen Ballen trockenen Segeltuchs getropft war. Was immer es war, es breitete sich in Windeseile aus. Schon war es auf dem Dach des Bootes, und gleich darauf griff es auf das Deck über. Anfangs waren die Flammen genauso blaßblau wie auf den flambierten Pfannkuchen, aber je mehr sie sich ausbreiteten, um so höher schlugen sie, bis sie schließlich so hell orangefarben leuchteten wie ein brennender Heuhaufen in einer Augustnacht. Der Rothaarige, Roux, war der erste, der reagierte. Ich nahm an, daß es sich um sein Boot handelte. Die Flammen hatten kaum Zeit gehabt, die Farbe zu wechseln, da war er auch schon auf den Füßen, sprang von Boot zu Boot um das Feuer zu erreichen. Eine der Frauen rief ihm nach, ein hoher, spitzer Schrei voller Angst und Sorge. Aber er kümmerte sich nicht darum. Er ist überraschend leichtfüßig. Innerhalb von dreißig Sekunden hatte er zwei Boote überquert, riß die Taue los, mit denen sieverbunden waren, trat im Weiterhasten eine losgelöste Barke nach der anderen auf das Wasser hinaus. Ich sah Vianne Rocher mit wie flehend ausgestreckten Armen hinter ihm herstarren; die anderen standen stumm auf dem Steg herum. Die Barken, die von ihrer Vertäuung gelöst waren, trieben langsam stromabwärts, und das Wasser wurde von ihrem Schaukeln aufgewühlt. Roux‘ Boot war nicht mehr zu retten, verkohlte Teile brachen ab und drifteten auf den Wellen dahin. Ich sah, wie er trotzdem einen halb verbrannten Ballen Segeltuch ergriff und auf die Flammen einschlug, aber die Hitze war zu groß. Seine Hose und sein Hemd fingen Feuer, und er ließ das Segeltuch fallen und schlug die Flammen an seinem Körper mit den Händen aus. Einen Arm schützend vor das Gesicht gehalten, versuchte er noch einmal, die Kajüte zu erreichen; ich hörte ihn in seinem Dialekt laut fluchen. Armande rief ihm etwas zu, ihre Stimme schrill vor Sorge. Ich hörte sie etwas von Benzin und Schiffstank schreien.
    Angst und Hochstimmung zugleich nagten an meinen Eingeweiden, Erinnerungen stiegen in mir auf, süß und warm. Es war fast genauso wie damals, der Gestank nach brennenden Reifen, das dumpfe Tosen des Feuers, das zuckende Licht … Es kam mir fast so vor, als wäre ich wieder ein kleiner Junge, als wären Sie der curé , und als seien wir beide wie durch ein Wunder von aller Verantwortung befreit.
    Zehn Sekunden später sprang Roux von dem brennenden Boot ins Wasser. Ich sah ihn auf das Ufer zuschwimmen, doch der Schiffstank explodierte erst ein paar Minuten später, und es war nur ein dumpfer Knall, nicht das Feuerwerk, das ich erwartet hatte. Einen Moment lang war er nicht mehr zu sehen, verdeckt von den Flammen, die über die Wasseroberfläche rasten. Ich stand auf, denn jetzt fürchtete ich nicht mehr, gesehen zu werden, und reckte den Hals, um nach ihm Ausschau zu halten. Ich glaube, ich betete.
    Sie sehen also, Vater, ich bin nicht ohne Mitgefühl. Ich fürchtete um sein Leben.
    Vianne Rocher war bereits im Wasser, bis zu den Hüften in den braunen Fluten des Tannes, ihr roter Mantel bis unter die Arme durchnäßt. Eine Hand über den Augen suchte sie den Fluß ab. Neben ihr stand Armande und schrie; ihre Stimme klang schrill und alt. Und als sie ihn schließlich triefnaß auf den Steg zerrten, war ich so erleichtert, daß meine Beine nachgaben und ich wie zum Gebet auf den Boden sank. Aber dieses Hochgefühl, als ich ihr Lager brennen sah – es war herrlich, wie eine Kindheitserinnerung, die Lust, heimlich zu beobachten, zu wissen  … In der Dunkelheit fühlte ich

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