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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Gebäck zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Vielleicht.«
    Schweigend schenkte ich mir eine Tasse Schokolade ein, mit Noisette-Likör und Haselnußblättchen. Es duftete warm und betörend wie ein Stapel Holz in der späten Herbstsonne. Guillaume aß seinen Windbeutel mit stillem Genuß und sammelte die Krümel mit einem befeuchteten Finger von seinem Teller.
    »Das heißt also, Sie würden sagen, daß alles, woran ich mein Leben lang geglaubt habe – Sünde und Erlösung und Auferstehung des Fleisches –, daß das alles keine Bedeutung hat, nicht wahr?«
    Ich lächelte über seine Ernsthaftigkeit.
    »Ich würde sagen, Sie haben sich mit Armande unterhalten«, sagte ich freundlich. »Und ich würde sagen, daß Sie und Armande das Recht haben, zu glauben, was Sie wollen. Solange es Sie glücklich macht.«
    »Oh.« Er schaute mich mißtrauisch an, als erwartete er, daß mir jeden Augenblick Hörner sprießen würden. »Und an was – wenn ich mir die Frage erlauben darf –, an was glauben Sie?«
    An Reisen mit fliegenden Teppichen, Runenzauber, AliBaba und Mutter-Gottes-Erscheinungen, Astralreisen und das Deuten der Zukunft aus dem Satz in einem Rotweinglas …
    Florida? Disneyland? Die Everglades? Wie wär’s damit, chérie? Na, wie wär’s?
    Buddha. Frodos Reise nach Mordor. Das Sakrament der heiligen Wandlung. Dorothy und Toto. Der Osterhase. Marsmenschen. Das Gespenst im Schrank. Die Auferstehung und das Leben, das die Karten verheißen … Irgendwann in meinem Leben habe ich an all das geglaubt. Oder es zumindest vorgegeben. Oder vorgegeben, nicht daran zu glauben.
    Was immer du willst, Mutter. Was immer dich glücklich macht .
    Und jetzt? An was glaube ich jetzt?
    »Ich glaube, das einzige, was zählt, ist, daß man glücklich und zufrieden ist«, sagte ich schließlich.
    Glück. So simpel wie eine Tasse Schokolade oder so kompliziert wie das Herz. Bitter. Süß. Lebendig.
    Am Nachmittag kam Joséphine. Anouk war nach der Schule sofort losgerannt, um in Les Marauds zu spielen, warm eingepackt in ihren roten Anorak und mit der strengen Anweisung, nach Hause zu kommen, falls es anfangen sollte zu regnen. Die Luft ist schwer und riecht scharf wie frisch geschlagenes Holz. Joséphine trug ihren karierten Mantel, den sie bis zum Hals zugeknöpft hatte, die rote Baskenmütze und ein neues rotes Halstuch, das ihr ins Gesicht flatterte. Sie betrat den Laden mit einem trotzig-selbstsicheren Blick, und einen Augenblick lang stand eine strahlend schöne Frau vor mir, mit vom Wind geröteten Wangen und funkelnden Augen. Dann löste sich das Trugbild auf, und sie war wieder sie selbst, die Hände tief in den Taschen vergraben, den Kopf gesenkt, als müßte sie sich gegen einen unsichtbaren Angreifer verteidigen. Als sie ihre Mütze abnahm, kamen ihr zerzaustes Haar und eine frische Strieme an ihrer Stirnzum Vorschein. Sie wirkte zugleich verängstigt und euphorisch.
    »Ich hab’s geschafft«, verkündete sie. »Vianne, ich hab’s geschafft.«
    Eine Schrecksekunde lang dachte ich, sie würde mir gestehen, daß sie ihren Mann ermordet hatte. Sie hatte diesen Blick – einen wilden, leidenschaftlichen Blick –, und sie zeigte ihre Zähne, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen. Ich spürte ihre Angst wie abwechselnd heiße und kalte Wellen von ihr ausgehen.
    »Ich habe Paul verlassen«, sagte sie. »Endlich habe ich es geschafft.«
    Ihr Blick war messerscharf. Zum erstenmal, seit ich sie kennengelernt hatte, sah ich Joséphine, wie sie zehn Jahre zuvor gewesen sein mußte, bevor sie durch Paul-Marie Muscat farblos und unscheinbar geworden war. Halb wahnsinnig vor Angst, aber unter dem Wahnsinn lag ein gesunder Verstand, der einem das Herz stocken ließ.
    »Weiß er es schon?« fragte ich, während ich ihr den Mantel abnahm. Die Manteltaschen waren schwer, aber anscheinend nicht mit Schmuck gefüllt.
    Joséphine schüttelte den Kopf.
    »Er glaubt, ich sei einkaufen gegangen«, sagte sie atemlos. »Uns war die Tiefkühlpizza ausgegangen. Er hat mich losgeschickt, um neue zu besorgen.« Sie lächelte beinahe kindlich verschmitzt. »Und ich hab einen Teil der Haushaltskasse mitgenommen«, fuhr sie fort. »Er bewahrt das Geld in einer Keksdose unter der Theke auf. Neunhundert Francs.« Unter dem Mantel trug sie einen roten Pullover und einen schwarzen Faltenrock. Zum erstenmal sah ich sie nicht in Jeans. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr.
    »Einen chocolat espresso , bitte«, sagte sie. »Und eine große Tüte

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