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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Relings befestigt hatten, was der ganzen Szene einen beinahe sakralen Charakter verlieh. Es roch nach Holzkohlenfeuer und duftete verlockend nach gegrillten Sardinen; und darunter mischte sich der scharfe, bittere Duft von Vianne Rochers Schokolade. Ich hätte mir denken können, daß sie dort war. Wenn sie nicht wäre, hätten die Zigeuner sich längst davongemacht. Ich sah sie auf dem Steg vor Armande Voizins Haus. In ihrem langen, roten Mantel und mit ihrem offenen Haar sah sie aus wie eine heidnische Priesterin. Als sie sich kurz in meine Richtung wandte, sah ichbläuliche Flammen in ihren ausgestreckten Händen, irgend etwas Brennendes zwischen ihren Fingern, das die Gesichter der anderen bleich erleuchtete …
    Einen Augenblick lang war ich starr vor Entsetzen. Irrationale Ängste überfielen mich – geheimnisvolle Opferriten, Teufelsanbetung, Brandopfer für irgendwelche primitiven Götzen –, und ich begann zu fliehen, stolperte in dem tiefen Schlamm hinter den Schlehenbüschen entlang, die mich vor ihren Blicken schützten. Dann die Erleichterung. Verblüffung und tiefe Scham über meine eigenen absurden Gedanken, als sie sich noch einmal in meine Richtung umdrehte und ich sah, wie die Flammen verloschen.
    » Mutter Gottes! «
    Meine Erleichterung war so groß, daß meine Beine beinahe unter mir nachgaben.
    »Pfannkuchen. Flambierte Pfannkuchen . Das ist alles.«
    Ich begann hysterisch und lautlos zu lachen. Mein Magen verkrampfte sich, und ich bohrte meine Fäuste in die Magengrube, um das Lachen zu unterdrücken. Ich beobachtete, wie sie noch einen Berg Pfannkuchen flambierte, mit der Bratpfanne herumging und die Pfannkuchen beherzt austeilte, und die Flammen hüpften von Teller zu Teller wie Elmsfeuer.
    Pfannkuchen.
    Was haben sie mir angetan, Vater! Sie haben mich so weit gebracht, daß ich Dinge höre – und Dinge sehe –, die gar nicht da sind. Das hat sie mir angetan, sie und ihre Freunde vom Fluß.
    Und dennoch wirkt sie so unschuldig. Ihr Gesicht ist offen, freundlich. Der Klang ihrer Stimme, der vom Fluß her an meine Ohren dringt – ihr Lachen, das ich aus dem der anderen heraushöre –, ist verführerisch, voller Humor und Wohlwollen. Unwillkürlich frage ich mich, wie meine eigene Stimme unter den Stimmen dieser Leute klingen würde, mein Lachen vermischt mit ihrem, und mit einemmal fühle ich mich einsam, plötzlich ist die Nacht kalt und leer.
    Wenn ich nur könnte, dachte ich. Aus meinem Versteck kommen und mich zu ihnen gesellen. Essen, trinken – und plötzlich machte der Gedanke an Essen mich rasend, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn ich mich nur an diesen Pfannkuchen laben, mich nur an dem Feuer und dem Licht auf ihrer goldenen Haut wärmen könnte …
    Ist das die Versuchung, Vater? Ich sage mir, ich habe ihr widerstanden, meine innere Kraft hat sie besiegt, mein Gebet – bitte, o bitte, bitte, bitte  – war ein Flehen um Erlösung, nicht Ausdruck des Verlangens.
    Haben Sie ebenso gefühlt? Haben Sie auch gebetet? Und als Sie der Versuchung damals in der Sakristei erlagen, war der Genuß hell und warm wie die Lagerfeuer der Zigeuner, oder war es ein erschöpftes Aufschluchzen, ein letzter lautloser Aufschrei in der Dunkelheit?
    Ich hätte Ihnen keinen Vorwurf machen dürfen. Ein Mann – selbst ein Priester – kann das Verlangen nicht ewig unterdrücken. Und ich war zu jung, um die Einsamkeit der Versuchung zu kennen, den bitteren Geschmack des Neids. Ich war sehr jung, mon père . Ich habe zu Ihnen aufgeblickt. Es war weniger der Akt selbst – oder die Person, mit der Sie ihn vollzogen –, sondern die simple Tatsache, daß Sie fähig waren zu sündigen. Selbst Sie, Vater. Und in diesem Augenblick wurde mir klar, daß es keine Sicherheit gibt. Für niemanden. Nicht einmal für mich selbst.
    Ich weiß nicht, wie lange ich zugesehen habe, Vater. Zu lange, denn als ich schließlich ging, waren meine Hände und Füße taub. Ich sah Roux in der Gruppe, die beiden Frauen Blanche und Zézette, Armande Voizin, Luc Clairmont, Narcisse, den Araber, Guillaume Duplessis, die junge Frau mit den Tätowierungen, die dicke Frau mit dem grünen Kopftuch. Sogar die Kinder waren da – hauptsächlich Zigeunerkinder, aber auch Jeannot Drou und natürlich Anouk Rocher –, einige schliefen schon fast, andere tollten am Flußufer herum, aßen in Pfannkuchen eingewickelteWürstchen oder tranken heißen, mit Ingwer gewürzten Zitronensaft. Mein Geruchssinn schien

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