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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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können wir Guillaumes Hund doch suchen. Morgen. Dann wäre er doch bestimmt wieder glücklich, nicht wahr?«
    Ich versuche, ihr zu erklären, daß das nicht ganz so einfach ist, aber sie läßt nicht locker.
    »Wir könnten zu den Bauernhöfen gehen und rausfinden, welcher Hund gerade Junge bekommen hat. Glaubst du, wir würden Charly erkennen?«
    Ich seufze. Eigentlich müßte ich mich inzwischen an ihre gewundenen Gedankengänge gewöhnt haben. Ihre Überzeugung erinnert mich so sehr an meine Mutter, daß ich den Tränen nahe bin.
    »Ich weiß nicht.«
    Dickköpfig: » Pantoufle würde ihn auf jeden Fall erkennen.«
    »Schlaf jetzt, Anouk. Morgen ist Schule.«
    »Er würde ihn erkennen, das weiß ich ganz genau. Pantoufle sieht alles .«
    »Schsch.«
    Schließlich wird ihr Atem regelmäßig. Ihr Gesicht ist dem Fenster zugewandt, und ich sehe Sternenlicht auf ihren nassen Wimpern. Wenn ich nur Gewißheit hätte, um ihretwillen … Aber es gibt keine Gewißheit. Die Magie, an die meine Mutter so unerschütterlich glaubte, hat sie am Ende auch nicht gerettet; alles, was wir erlebten, hätte auch durch Zufall geschehen sein können. Nichts ist leichter als das, sage ich mir; die Karten, die Kerzen, die Räucherstäbchen, die Zaubersprüche – alles nur Kindertricks, um die Dunkelheit zu bannen. Und doch schmerzt mich Anouks Enttäuschung. Im Schlaf wirkt ihr Gesicht gelassen, vertrauensvoll. Ich stelle mir vor, wie wir uns morgen auf eine sinnlose Suche machen, wie wir alle möglichen Welpen begutachten, und es zerreißt mir das Herz. Ich hätte ihr nichts erzählen sollen, was ich nicht beweisen kann …
    Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, schlüpfe ich aus dem Bett. Die Dielen fühlen sich glatt und kühl unter meinenFüßen an. Als die Tür beim Öffnen ein bißchen quietscht, murmelt Anouk im Schlaf, wacht jedoch nicht auf. Ich habe eine Verantwortung ihr gegenüber, sage ich mir. Ohne es zu wollen, habe ich ihr etwas versprochen.
    Die Sachen meiner Mutter sind immer noch in ihrer Kiste, sie duften nach Sandelholz und Lavendel. Ihre Karten, ihre Kräuter, ihre Bücher, ihre Öle, die duftende Tinte, die sie für ihre Wahrsagerei benutzte, Runen, Amulette, Kristallkugeln, Kerzen in vielen Farben. Wenn die Kerzen nicht wären, würde ich die Kiste kaum jemals öffnen. Zu sehr riecht sie nach verlorener Hoffnung. Aber um Anouks willen – Anouk, die mich so sehr an sie erinnert – muß ich es wohl versuchen. Ich komme mir ein bißchen lächerlich vor. Eigentlich müßte ich jetzt schlafen und mich für den morgigen Tag stärken. Aber Guillaumes Gesicht verfolgt mich. Anouks Worte rauben mir den Schlaf. Es ist gefährlich, sage ich mir verzweifelt; indem ich auf diese beinahe vergessenen Fähigkeiten zurückgreife, setze ich mich noch mehr von ihnen ab und mache es um so schwerer für uns, hierzubleiben …
    Das vertraute Ritual, das ich vor so langer Zeit aufgegeben habe, geht mir erstaunlich leicht von der Hand. Den Kreis auf dem Boden zu ziehen, in die Mitte ein mit Wasser gefülltes Glas, ein Schälchen mit Salz und eine brennende Kerze – es hat fast etwas Tröstliches, es ist wie die Rückkehr in eine Zeit, als es noch für alles eine einfache Erklärung gab. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Boden, schließe die Augen, lasse meinen Atem fließen.
    Meine Mutter liebte Rituale und Zaubersprüche. Ich war weniger willig. Ich sei gehemmt, pflegte sie dann zu kichern. Jetzt, mit geschlossenen Augen und ihrem Duft an den Fingerspitzen, fühle ich mich ihr sehr nahe. Vielleicht fällt mir das alles deswegen heute nacht so leicht. Menschen, die nichts von echter Zauberei verstehen, stellen sich vor, der Vorgang erfordere eine Menge Brimborium. Ich nehme an, daß meine Mutter, die eine ausgeprägte theatralische Ader besaß, deswegen immer so einen Hokuspokus darumgemacht hat. In Wirklichkeit ist das Ganze äußerst undramatisch; es geht lediglich darum, sich mit allen Sinnen auf das gewünschte Ziel zu konzentrieren. Es gibt keine Wunder, keine plötzlichen Erscheinungen. Ich sehe Guillaumes Hund deutlich vor meinem geistigen Auge, umgeben von jenem einladenden Glanz, aber es erscheint kein Hund in meinem Kreis. Vielleicht morgen oder übermorgen, ein scheinbarer Zufall wie der orangefarbene Sessel oder die roten Barhocker, die wir uns am ersten Tag vorgestellt hatten. Vielleicht wird aber auch gar nichts geschehen.
    Ein Blick auf meine Armbanduhr, die ich auf den Boden gelegt habe, sagt mir, daß es

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