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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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mich mächtig, Vater, es war, als hätte ich das alles irgendwie verursacht – das Feuer, die Verwirrung, die Flucht des Mannes –, als hätte meine heimliche Gegenwart eine Wiederholung der Ereignisse jenes fernen Sommers verursacht. Kein Wunder. So naiv bin ich nicht. Aber ein Zeichen. Bestimmt, ein Zeichen.
    Im Schutz der Dunkelheit schlich ich nach Hause. Bei den vielen Menschen, die am Flußufer standen, den weinenden Kindern, den zornigen Erwachsenen, die sich stumm an den Händen hielten und das lodernde Feuer betrachteten wie verwirrte Kinder in einem bösen Märchen, war es leicht, unbemerkt davonzukommen.
    Nicht nur für mich.
    Ich sah ihn, als ich die Hügelkuppe erreichte. Schwitzend und grinsend, das Gesicht vor Anstrengung gerötet und rußverschmiert, die Brille verdreckt. Er hatte die Ärmel seines karierten Hemdes bis über die Ellbogen aufgekrempelt, und im geisterhaften Licht des Feuers wirkte seine Haut glatt und rot wie poliertes Zedernholz. Er zeigte sich über meine Anwesenheit nicht überrascht, sondern grinste nur. Ein dummes, verschlagenes Grinsen wie das eines Kindes, das von einem nachsichtigen Vater bei einer Dummheit erwischt wird. Mir fiel auf, daß er stark nach Benzin roch.
    »n’Abend, Vater.«
    Ich wagte nicht, seinen Gruß zu erwidern, als könnte ich mich durch mein Schweigen einer Verantwortung entledigen.Statt dessen neigte ich den Kopf wie ein stiller Mitverschwörer und eilte weiter. Ich spürte, wie Muscat mir nachschaute, das Gesicht glänzend vor Schweiß, aber als ich mich schließlich umdrehte, war er fort.
    Eine Kerze, tropfendes Wachs. Eine Zigarette, die, achtlos fortgeworfen, auf einem Stapel Brennholz landet. Ein Lampion, dessen buntes Papier Feuer gefangen hat und kleine Funken auf das Deck regnet. Alles mögliche hätte das Feuer auslösen können.
    Alles mögliche.
    Samstag, 8. März
    Heute morgen war ich wieder bei Armande. Sie saß in ihrem niedrigen Wohnzimmer in ihrem Schaukelstuhl, eine ihrer Katzen auf dem Schoß. Seit dem Brand in Les Marauds wirkt sie zugleich zerbrechlich und verbittert, ihr rundes Gesicht eingefallen, Augen und Lippen in Runzeln versunken. Sie trug ein graues Hauskleid und dicke, schwarze Strümpfe, und ihr offenes Haar hing matt und stumpf über ihre Schultern.
    »Sie sind fort.« Ihre Stimme klang tonlos, beinahe teilnahmslos. »Kein einziges Boot ist übriggeblieben.«
    »Ich weiß.«
    Wenn ich nach Les Marauds hinuntergehe, ist der Anblick immer noch ein Schock, wie der häßliche gelbe Fleck auf dem Feld, wo einmal ein Zirkuszelt gestanden hat. Nur das Wrack von Roux‘ Boot ist noch da, ein untergegangenes Skelett, schwarz schimmernd im Schlamm unter der Wasseroberfläche.
    »Blanche und Zézette haben ein Stück weiter flußabwärts festgemacht. Sie haben gesagt, sie wollen heute noch einmal herkommen, um nach dem Rechten zu sehen.«
    Sie begann, ihr langes, graues Haar zu einem Zopf zu flechten. Ihre Finger wirkten so steif und unbeholfen wie kleine Stöckchen.
    »Was ist mit Roux? Wie geht es ihm?«
    »Er ist wütend.«
    Und das zu Recht. Er weiß, daß das Feuer kein Zufall war, er weiß, daß er nichts beweisen kann, er weiß, daß es ihm auch nichts nützen würde, wenn er Beweise hätte. Blanche und Zézette haben ihm angeboten, zu ihnen in ihr bereits überfülltes Hausboot zu ziehen, aber er hat abgelehnt. Die Arbeiten an Armandes Haus seien noch nicht abgeschlossen, hat er erklärt. Das muß er zuerst noch erledigen. Ich selbst habe seit dem Brand nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich habe ihn einmal kurz am Ufer gesehen, wo er dabei war, den Abfall zu verbrennen, den seine Gefährten hinterlassen hatten. Er wirkte mürrisch und verschlossen, die Augen vom Rauch gerötet. Als ich ihn grüßte, reagierte er nicht. Sein Haar war im Feuer teilweise verbrannt, und den Rest hatte er zu kurzen Stoppeln geschnitten, so daß er jetzt aussieht wie ein brennendes Streichholz.
    »Was hat er jetzt vor?«
    Armande zuckte die Achseln.
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, er schläft in einem der verfallenen Häuser hier in der Straße. Gestern abend hab ich ihm was zu essen vor die Tür gestellt, und heute morgen war es weg. Ich hab ihm auch Geld angeboten, aber er wollte es nicht annehmen.« Sie zupfte nervös an ihrem fertigen Zopf. »Sturer Bengel. Was nützt mir das ganze Geld in meinem Alter? Ich würde viel lieber ihm einen Teil davon geben, anstatt es alles dem Clairmont-Clan in den Rachen zu werfen. Wie ich die kenne, landet es

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