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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sowieso nur in Reynauds Klingelbeutel.«
    Sie schnaubte verächtlich.
    »Der Kerl ist ein Dickkopf. Gott bewahre uns vor rothaarigen Männern. Die lassen sich einfach nichts sagen.« Sie schüttelte verdrießlich den Kopf. »Gestern ist erwutschnaubend abgezogen, und seitdem hab ich ihn nicht mehr gesehen.«
    Ich mußte unwillkürlich lächeln.
    »Sie beide sind vielleicht ein Paar«, sagte ich. »Einer so stur wie der andere.«
    Armande sah mich empört an.
    » Ich? « rief sie aus. »Wollen Sie mich etwa mit diesem fuchshaarigen, dickschädeligen –«
    Lachend nahm ich meine Bemerkung zurück.
    »Ich will mal sehen, ob ich ihn finde«, sagte ich.
    Ich fand ihn nicht, obwohl ich eine Stunde lang an den Ufern des Tannes nach ihm suchte. Selbst die Methoden meiner Mutter halfen nicht. Ich entdeckte jedoch seinen Schlafplatz. In einem Haus nicht weit von Armandes entfernt, einem der weniger verfallenen unter den heruntergekommenen Häusern in der Straße. Die Wände glänzen vor Feuchtigkeit, aber die obere Etage scheint noch einigermaßen in Schuß zu sein, und in mehreren Fenstern sind die Scheiben erhalten. Im Vorbeigehen fiel mir auf, daß die Tür aufgebrochen worden war, und als ich einen Blick hinein warf, bemerkte ich, daß im Kamin im Wohnzimmer erst kürzlich ein Feuer gebrannt haben mußte. Es gab noch weitere Anzeichen, die darauf hindeuteten, daß das Haus bewohnt war; ein Ballen angesengten, aus dem Feuer geretteten Segeltuchs, ein Stapel Treibholz, mehrere Möbelstücke, wahrscheinlich von den ehemaligen Bewohnern als wertlos im Haus zurückgelassen. Ich rief seinen Namen, bekam jedoch keine Antwort.
    Da ich um halb neun den Laden öffnen mußte, gab ich die Suche schließlich auf. Roux würde schon von allein auftauchen, wenn er soweit war. Als ich am Laden ankam, wartete Guillaume schon draußen, obwohl die Tür unverschlossen war.
    »Sie hätten ruhig drinnen auf mich warten können«, sagte ich.
    »O nein«, erwiderte er ernst. »Das wäre ungehörig gewesen.«
    »Man muß im Leben auch mal was riskieren«, sagte ich lachend. »Kommen Sie rein, Sie müssen unbedingt meine frischgebackenen Windbeutel probieren.«
    Seit Charlys Tod wirkt er eingefallen, als sei er auf die Hälfte seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft, sein junges-altes Gesicht wirkt zugleich verschmitzt und weise vor Gram. Aber er hat seinen Sinn für Humor nicht verloren, seine wehmütig spöttische Art, die ihn vor Selbstmitleid bewahrt. Heute morgen war er ganz mit dem Unglück beschäftigt, das den Leuten am Fluß widerfahren war.
    »Reynaud hat heute in der Messe kein Wort darüber verloren«, sagte er, während er sich aus dem silbernen Kännchen Schokolade einschenkte. »Weder gestern noch heute. Nicht ein einziges Wort.«
    Ich bestätigte, daß dies ziemlich ungewöhnlich sei angesichts des Interesses, das der curé bis dahin an den fahrenden Leuten gezeigt hatte.
    »Vielleicht weiß er etwas, über das er nicht sprechen darf«, meinte Guillaume. »Sie wissen schon. Beichtgeheimnis.«
    Er erzählt mir, daß er Roux gesehen hat, der sich mit Narcisse vor dessen Gewächshäusern unterhielt. Vielleicht hat Narcisse Arbeit für Roux. Ich hoffe es zumindest.
    »Er stellt häufig Gelegenheitsarbeiter ein, wissen Sie«, sagte Guillaume. »Er ist verwitwet. Hat nie Kinder gehabt. Außer einem Neffen in Marseille gibt es niemanden, der den Betrieb übernehmen könnte. Und Narcisse ist es egal, wer im Sommer für ihn arbeitet, wenn er alle Hände voll zu tun hat. Solange einer zuverlässig ist, interessiert es ihn nicht, ob er zur Kirche geht.« Guillaume lächelte entschuldigend, wie immer, wenn er etwas sagt, was er als gewagt empfindet. »Manchmal frage ich mich«, fuhr er nachdenklich fort, »ob Narcisse nicht ein besserer Christ imeigentlichen Sinne ist als ich oder Georges Clairmont – oder sogar curé Reynaud.« Er trank einen Schluck. »Ich meine, Narcisse hilft, wo er kann«, sagte er ernst. »Er gibt Leuten, die Geld brauchen, Arbeit. Er läßt Zigeuner auf seinem Land kampieren. Alle wissen, daß er die ganzen Jahre mit seiner Haushälterin geschlafen hat, und er geht nie in die Kirche, außer um seine Kunden zu treffen, aber er ist immer hilfsbereit.«
    Ich nahm den Deckel von dem Tablett mit den Windbeuteln und legte ihm einen auf den Teller.
    »Ich glaube nicht, daß es so etwas gibt wie gute und schlechte Christen«, sagte ich. »Nur gute und schlechte Menschen.«
    Er nickte und nahm das kleine runde

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