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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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es nicht wagt, das Café de la République zu betreten, habe ich ihr ein paar von meinen Kleidern geliehen. Sie sieht hübsch aus in dem blauen Pullover und dem geblümten langen Rock, die Farben verleihen ihr eine jugendliche Frische. In den wenigen Tagen hat sie sich völlig verändert; der stumpfe, feindselige Blick ist verschwunden, ebenso die abwehrend geballten Fäuste. Sie wirkt größer, geschmeidiger, nicht mehr so unförmig wie zuvor, als sie ständig mit eingezogenen Schultern herumlief und mehrere Lagen Kleider übereinandertrug. Sie bedient im Laden, während ich in der Küche arbeite, und ich habe ihr bereits beigebracht, wie man die verschiedenen Schokoladensorten mischt und anrührt und einfache Pralinen herstellt. Ihre Hände sind flink und geübt. Lachend erinnere ich sie daran, mit welcher Geschicklichkeit sie damals am ersten Tag die Mandeln hatte in ihrer Tasche verschwinden lassen. Sie errötet.
    »Ich würde Sie nie bestehlen!« Ihre Empörung ist echt. »Vianne, Sie glauben doch nicht etwa, ich –«
    »Natürlich nicht.«
    »Sie wissen doch, ich –«
    »Natürlich.«
    Sie und Armande, die sich bisher kaum kannten, sind gute Freundinnen geworden. Die alte Dame kommt jetzt jeden Tag in den Laden, manchmal zum Plaudern, manchmal, um sich eine Tüte von ihren Lieblingstrüffeln zu kaufen. Häufig ist sie in Begleitung von Guillaume, der sie inzwischen regelmäßig besucht. Heute war Luc auch hier, und die dreisaßen zusammen in einer Ecke mit einer großen Kanne Schokolade und einem Teller voll Eclairs. Es waren immer wieder Gelächter und freudige Ausrufe von der kleinen Runde zu hören.
    Kurz vor Ladenschluß kam Roux herein. Er wirkte schüchtern und verhalten. Zum erstenmal seit dem Brand sah ich ihn von nahem, und ich war bestürzt darüber, wie sehr er sich verändert hatte. Er wirkt schlanker, sein Haar ist mit Pomade streng aus dem mürrischen Gesicht frisiert. An einer Hand trägt er einen schmutzigen Verband. Die Spuren der Verbrennungen in seinem Gesicht wirken jetzt wie ein schlimmer Sonnenbrand.
    Er zuckte zusammen, als er Joséphine hinter der Theke sah.
    »Verzeihung. Ich dachte, Vianne wäre –« Er wandte sich abrupt zum Gehen.
    »Nein, bitte. Sie ist in der Küche.« Sie ist wesentlich lockerer geworden, seit sie im Laden arbeitet, doch diesmal wirkte sie verlegen. Vielleicht hatte seine Erscheinung sie eingeschüchtert.
    Roux zögerte.
    »Sie sind die Frau aus dem Café«, sagte er schließlich. »Sie sind …«
    »Joséphine Bonnet«, unterbrach sie ihn. »Ich wohne jetzt hier.«
    »Ach.«
    Als ich aus der Küche trat, sah ich, wie er sie mißtrauisch betrachtete. Doch er verfolgte das Thema nicht weiter, und Joséphine zog sich erleichtert in die Küche zurück.
    »Schön, Sie zu sehen, Roux«, sagte ich. »Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.«
    »So?«
    Er schafft es immer wieder, eine einzige Silbe bedeutungsvoll klingen zu lassen. Diesmal war es höfliche Verblüffung, Mißtrauen. Er wirkte wie eine nervöse Katze, die jederzeit zum Angriff bereit ist.
    »Es müssen ein paar Umbauarbeiten am Haus durchgeführt werden, und ich dachte, Sie könnten vielleicht …«
    Ich finde es schwierig, die richtigen Worte zu finden, denn ich weiß, daß er alles ablehnen wird, was er als Almosen betrachtet.
    »Hat das vielleicht etwas mit unserer Freundin Armande zu tun?« Sein Ton war zugleich beiläufig und hart. Er schaute zu dem Tisch in der Ecke hinüber, an dem Armande, Luc und Guillaume saßen. »Wir versuchen wohl wieder, heimlich Gutes zu tun, wie?« sagte er sarkastisch.
    Als er sich mir wieder zuwandte, war sein Gesicht ausdruckslos.
    »Ich bin nicht hergekommen, um Sie um Arbeit zu bitten. Ich wollte Sie fragen, ob Sie an dem Abend jemanden um mein Boot haben schleichen sehen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Tut mir leid, Roux. Ich habe niemanden gesehen.«
    »Okay.« Er wandte sich erneut zum Gehen. »Vielen Dank.«
    »Moment, warten Sie –« rief ich. »Wollen Sie nicht wenigstens eine Tasse Schokolade mit mir trinken?«
    »Ein andermal.« Sein Ton war schroff, beinahe grob. Ich spürte, daß seine Wut eine Angriffsfläche suchte.
    »Wir sind immer noch Ihre Freunde«, sagte ich, als er die Tür erreichte. »Armande und Luc und ich. Seien Sie doch nicht so abweisend. Wir wollen Ihnen helfen.«
    Roux drehte sich mit einem Ruck um. Er starrte mich mit wütend zusammengekniffenen Augen an.
    »Das gilt für alle hier.« Er sprach mit leiser, haßerfüllter Stimme,

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