Chocolat
Aber sagen Sie mir eins, Vater« – er hob bittend die Hände –, »habe ich nicht meine Gründe gehabt? Jeden Morgen neben ihrem dämlichen Gesicht aufzuwachen. Sie immer wieder mit prallvollen Taschen zu erwischen, vollgestopft mit Zeug, das sie auf dem Markt geklaut hat, mit Lippenstiften und Parfümflaschen und billigem Modeschmuck. Und in der Kirche haben mich alle angestarrt und über mich gelacht.« Er schaute mich Zustimmung heischend an. »Was meinen Sie, Vater? Habe ich nicht auch mein Kreuz zu tragen gehabt?«
Das alles hörte ich nicht zum erstenmal. Seine Beschwerden über ihre Schlampigkeit, ihre Dummheit, ihren Hang zum Stehlen, ihre Faulheit. Ich bin nicht verpflichtet, eine Meinung zu solchen Dingen zu haben. Meine Aufgabe ist es, Rat und Beistand zu geben. Aber er widert mich an mit seinen Ausreden, seiner Überzeugung, er hätte es im Leben zu etwas Großem bringen können, wenn sie nicht gewesen wäre.
»Wir sind nicht hier, um Schuld zuzuweisen«, sagte ich mit einem tadelnden Unterton. »Wir sollten lieber nach Möglichkeiten suchen, wie wir Ihre Ehe retten können.«
Er lenkte sofort ein.
»Tut mir leid, Vater. Ich – ich hätte das alles nicht sagen dürfen.« Er bemühte sich, sich ernsthaft geben, zeigte mir seine Zähne, die so gelb waren wie uraltes Elfenbein. »Glauben Sie nicht, ich würde sie nicht lieben, Vater. Ich meine, ich will sie schließlich zurückhaben, oder?«
O ja. Damit sie ihm sein Essen kocht. Und seine Kleider bügelt. Im Café bedient. Und um seinen Freunden zu zeigen, daß niemand Paul-Marie Muscat zum Narren hält, niemand. Ich verachte diese Heuchelei. Er muß sie tatsächlich zurückgewinnen, in diesem Punkt zumindest stimme ich ihm zu. Aber aus anderen Gründen.
»Wenn Sie sie wiederhaben wollen, Muscat«, sagte ich spitz, »dann haben Sie sich bisher allerdings erstaunlich dumm angestellt.«
Er warf verächtlich den Kopf in den Nacken.
»Das sehe ich aber gar nicht –«
»Geben Sie sich nicht für dümmer aus, als Sie sind.«
Mein Gott, mon père , wie haben Sie es bloß geschafft, soviel Geduld mit diesen Leuten zu haben?
»Drohungen, Beschimpfungen, Ihr Auftritt letzte Nacht? Glauben Sie wirklich, daß Sie damit zum Ziel kommen?«
Verdrossen: »Ich konnte ihr das doch nicht einfach durchgehen lassen, Vater. Im ganzen Dorf heißt es schon, meine Frau hätte mich sitzenlassen. Und diese Schlampe Rocher …« Seine bösen Augen zogen sich hinter den Brillengläsern zu Schlitzen zusammen. »Es geschähe ihr recht, wenn mit diesem Luxusladen etwas passieren würde«, sagte er geradeheraus. »Dann wären wir die Hexe ein für allemal los.«
Ich sah ihn streng an.
»Ach ja?«
Es war zu nah an dem, was mir auch schon durch den Kopf gegangen ist, Vater. Gott steh mir bei, aber als ich das Boot brennen sah … Es ist ein primitives Vergnügen, unter meiner Würde als Priester, ein heidnisches Gelüst, das ich eigentlich gar nicht empfinden dürfte. Ich habe mit mir gerungen, Vater, am frühen Morgen. Ich habe es in mir unterdrückt, aber wie der Löwenzahn wächst es immer wieder nach, schlägt heimtückisch immer wieder neue Wurzeln. Vielleicht klang meine Stimme härter als gewollt, als ich ihm antwortete, weil ich wußte, was er meinte.
»An was hatten Sie denn gedacht, Muscat?«
Er murmelte etwas Unverständliches.
»Ein Feuer vielleicht? Einen praktischen Hausbrand?« Ich spürte die Wut in mir wachsen. Mein Mund füllte sich mit einem Geschmack, der zugleich metallisch und süßlich faul war. »Wie das Feuer, das die Zigeuner vertrieben hat?«
Er grinste.
»Möglich. Diese alten Häuser sind gräßliche Feuerfallen.«
»Hören Sie mir gut zu.« Plötzlich empfand ich Abscheu bei dem Gedanken, er könnte mein Schweigen in jener Nacht als Komplizenschaft aufgefaßt haben. »Wenn ich außerhalb des Beichtstuhls auch nur den leisesten Verdacht schöpfe, daß Sie so etwas vorhaben – wenn mit diesem Laden irgend etwas passiert –« Ich hatte ihn bei den Schultern gepackt, meine Finger gruben sich tief in sein weiches Fleisch.
Muscat starrte mich gekränkt an.
»Aber Vater, Sie haben doch selbst gesagt –«
» Ich habe überhaupt nichts gesagt !« Ich hörte meine Stimme auf dem Platz widerhallen und beeilte mich, leiser zu sprechen. »Ich habe niemals gewollt, daß Sie –« Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals und mußte mich räuspern. »Wir leben nicht im Mittelalter, Muscat«, sagte ich dann knapp. »Wir legen Gottes
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