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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Gesetze nicht nach eigenem Gutdünken aus. Oder die Gesetze dieses Landes«, fügte ich mühsam hinzu, während ich ihm in die Augen sah. Seine Augäpfel waren ebenso gelb wie seine Zähne. »Haben wir uns verstanden?«
    »Ja, mon père «, brummte er verstimmt.
    »Wenn nämlich irgend etwas geschieht, Muscat, irgend etwas , eine eingeschlagene Fensterscheibe, ein kleines Feuer, egal was …« Ich bin einen Kopf größer als er. Ich bin jünger, kräftiger als er. Instinktiv reagiert er auf die physische Bedrohung. Ich versetze ihm einen Stoß, der ihn gegen die Steinmauer hinter sich torkeln läßt. Mittlerweile bin ich kaum noch in der Lage, meine Wut zu beherrschen. Daß er es wagt – daß er es wagt ! –, meine Rolle zu übernehmen,Vater. Ausgerechnet er, dieser erbärmliche, verblendete Säufer. Daß er mich in diese Situation bringt; mich zwingt, diese Frau zu beschützen, die meine Feindin ist. Mühsam gewinne ich die Fassung wieder.
    »Halten Sie sich von dem Laden fern, Muscat.«
    Etwas bescheidener, kleinlauter: »Ja, Vater.«
    »Und überlassen Sie die Sache mir.«
    »Ja, Vater.«
    Ich bin nicht verantwortlich für die Verblendung meiner Gemeindemitglieder. Ich habe ihn zu nichts angestiftet. Es besteht keine Seelenverwandtschaft zwischen mir, der seine niederen Instinkte beherrscht, und ihm, der sich in ihnen suhlt. Und dennoch geht mir die Sache nicht mehr aus dem Kopf. Ein Unglücksfall – ein achtlos fortgeworfenes Streichholz, eine unbeachtete Kerze, ein Kurzschluß – auch solche Dinge können Gottes Werk tun. Aber ich habe meinen Standpunkt deutlich gemacht. Ich muß Vianne Rocher beschützen. Es liegt eine bittere Ironie darin, Vater, etwas, das mir den Magen versäuert und den Mund austrocknet. Jedesmal, wenn ich über den Platz hinweg zu der rot-goldenen Markise hinüberschaue, die in der Sonne glitzert, spüre ich ihr Lachen. Irgendwie hat sie es geschafft, mich auszumanövrieren, Vater. Sie hat Muscat und seine Frau benutzt, um mich zu ihrem Werkzeug zu machen. Sie hat es geschafft, uns machtlos zu machen und daran zu hindern, zu tun, was wir tun müssen, die Sache bei der Wurzel zu packen, bevor sie uns übermannt.
    Noch drei Wochen bis zu ihrem großen Fest. Mehr bleibt mir nicht. Drei Wochen, um mir zu überlegen, wie ich sie aufhalten kann. Ich habe in der Kirche gegen sie gepredigt, mit dem einzigen Erfolg, mich selbst lächerlich gemacht zu haben. Schokolade, hat man mir erklärt, habe nichts mit Moral zu tun. Selbst die Clairmonts finden meine Unerbittlichkeit eher merkwürdig; sie überschlägt sich vor gespielterSorge, ich sei überarbeitet, während er offen über mich grinst. Vianne Rocher selbst kümmert sich überhaupt nicht um meine Einwände. Anstatt sich anzupassen, trägt sie ihr Anderssein zur Schau, grüßt mich frech quer über den Platz hinweg, fördert die Schrullen von Leuten wie Armande und hat dauernd alle Kinder um sich herum, die unter ihrem Einfluß immer ausgelassener werden. Selbst in einer großen Menschenmenge fällt sie sofort auf. Andere gehen die Straße entlang – sie rennt. Ihr Haar, ihre Kleidung; immer zerzaust, immer bunt – orange und gelb und gepunktet und geblümt. Wenn sich ein Wellensittich in der Wildnis unter die Spatzen mischte, würde er schon bald wegen seines bunten Federkleids zerrissen. Aber hier wird sie mit Wohlwollen akzeptiert, ja, man hat sogar Vergnügen an ihr. Was anderswo Empörung auslösen würde, wird hier toleriert, denn es ist ja nur Vianne. Selbst Clairmont erliegt ihrem Charme, und seiner Frau ist sie nicht etwa ein Dorn im Auge, weil sie sich moralisch überlegen fühlt, nein, Caro ist eifersüchtig, was nicht gerade für sie spricht. Zumindest ist Vianne Rocher keine Heuchlerin, die Gottes Wort mißbraucht, um ihren sozialen Status zu erhöhen. Aber auch dieser Gedanke bedeutet eine weitere Gefahr, denn er beinhaltet eine gewisse Sympathie meinerseits, die sich ein Mann in meiner Position kaum leisten kann. Ich darf keine Sympathie empfinden. Zuneigung ist ebenso unangemessen wie Haß. Um der Gemeinde und der Kirche willen muß ich unvoreingenommen sein. Nur der Kirche und der Gemeinde bin ich zu Loyalität verpflichtet.
    Mittwoch, 12. März
    Seit Tagen haben wir nicht mehr mit Muscat gesprochen. Nachdem Joséphine sich anfangs weigerte, das Haus zu verlassen, traut sie sich inzwischen, allein zum Bäcker am Ende der Straße oder zum Blumenladen auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes zu gehen. Da sie

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