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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Bastarde es nicht auch abfackeln.« Sie gibt seineSprache treffend wieder. Seine Worte knurren und springen in ihrem Mund. Ich wende mich ab, um mein Grinsen zu verbergen.
    »Sein Haus ist cool«, fuhr Anouk fort. »Er hat ein Lagerfeuer mitten auf dem Teppich. Er hat gesagt, ich darf kommen, wann ich will. Oh.« Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Er hat gesagt, solange ich dir nichts davon erzähle.« Sie seufzte theatralisch. »Und jetzt hab ich’s dir doch erzählt, stimmt’s, Maman?«
    Ich nahm sie lachend in den Arm.
    »Stimmt.«
    Ich bemerkte, daß Joséphine höchst beunruhigt war.
    »Ich finde, du solltest nicht in dieses Haus gehen, Anouk«, sagte sie. »Du kennst diesen Mann doch gar nicht richtig. Vielleicht ist er ja böse.«
    »Ich glaube, sie kann ruhig zu ihm gehen«, sagte ich und zwinkerte Anouk zu. »Solange sie es mir erzählt.«
    Anouk zwinkerte zurück.
    Heute war eine Beerdigung – jemand aus dem Altenheim Les Mimosas ein Stück flußabwärts war gestorben –, und aus Angst oder Respekt blieben die meisten Kunden weg. Die alte Dame war vierundneunzig, erzählt Clothilde mir im Blumenladen, eine Verwandte von Narcisse’ verstorbener Frau. Ich sah Narcisse, der als Zugeständnis an den Anlaß eine schwarze Krawatte zu seinem alten Tweedjackett trug, am Eingang der Kirche stehen. Neben ihm Reynaud in seinem schwarzweißen Gewand, in der einen Hand ein silbernes Kreuz, die andere gütig ausgestreckt, um die Trauergäste zu begrüßen. Es kamen nur wenige. Vielleicht ein Dutzend alte Frauen, von denen ich keine kannte; eine wurde von einer blonden Krankenschwester in einem Rollstuhl geschoben, einige waren so rundlich wie Armande, andere hager mit der für sehr alte Menschen typischen, beinahe durchsichtigen Haut, alle in Schwarz – schwarze Strümpfe und Mäntel und Häubchen und Kopftücher –, manche mit Handschuhen,andere hielten die bleichen, gefalteten Händen vor die Brust gepreßt wie die Jungfrauen auf den Gemälden von Grünewald. Ich sah vor allem ihre Köpfe, als sie, dicht zusammengedrängt und leise raunend, auf die Kirche zugingen; hin und wieder ein kurzer, mißtrauischer Blick aus schwarzen funkelnden Augen, aus der Sicherheit der Gruppe riskiert, während die resolute, gutgelaunte Schwester am Schluß der kleinen Prozession den Rollstuhl schob. Sie schienen nicht von Trauer überwältigt. Die Frau im Rollstuhl hielt ein Gebetbuch in einer Hand und begann mit hoher, zittriger Stimme zu singen, als sie die Kirche betraten. Die anderen nickten Reynaud stumm zu, und ein paar Frauen reichten ihm, bevor sie in der Dunkelheit verschwanden, eine schwarz umrandete Karte, die er während der Totenmesse vorlesen sollte. Der einzige Leichenwagen des Dorfes kam ein bißchen zu spät. Durch die Seitenfenster des Wagens konnte ich den Sarg sehen, der mit einem schwarzen Tuch bedeckt und mit einem Blumengebinde geschmückt war. Die dumpfen Töne der Totenglocke hallten über den Dorfplatz. Dann begann die Orgel zu spielen, traurige, lustlose Töne, wie Kiesel, die in einen Brunnen fallen.
    Joséphine, die gerade ein Blech mit Schokoladenbaisers aus dem Ofen genommen hatte, trat in den Laden und schüttelte sich.
    »Das ist ja schauerlich«, sagte sie.
    Ich muß an das Krematorium denken, an die Orgelmusik – die Toccata von Bach –, den billigen, glänzenden Sarg, den Duft nach Bohnerwachs und Blumen. Der Pfarrer sprach den Namen meiner Mutter falsch aus – Jean Roacher . Nach zehn Minuten war alles vorbei.
    Der Tod sollte ein Fest sein , hatte sie gesagt. Wie ein Geburtstagsfest. Wenn meine Zeit gekommen ist, will ich in die Luft gehen wie eine Rakete und wie eine Sternenwolke vom Himmel regnen und hören, wie alle sagen: Aaah!
    Am Abend des vierten Juli verstreute ich ihre Asche im Hafen. Auf dem Pier gab es ein Feuerwerk und Zuckerwattefür die Kinder, Chinaböller wurden abgefeuert, und die Luft war erfüllt von dem scharfen Geruch nach Kordit, dem Duft von Grillwürstchen und fritierten Zwiebeln und dem fauligen Gestank der Abfälle, die im Hafenwasser trieben. Es war das Amerika, von dem sie immer geträumt hatte, ein Riesenrummel mit zuckendem Neonlicht, lauter Musik und ausgelassen singenden und sich drängelnden Menschenmengen, die ganze glitzernde, sentimentale Geschmacklosigkeit, die sie so geliebt hatte. Ich wartete bis zum Höhepunkt des Feuerwerks, und als der Himmel ein einziges Meer aus Licht und Farbe war, ließ ich die Asche langsam in den

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