Cholerabrunnen
Ewigkeiten und trotz der vielen Wirren blieb er nicht nur erhalten, sondern befindet sich in einem sehr gut vorzeigbaren Zustand. Manch Geschäftspartner, Kunde und Zulieferer staunte schon über die Akkuratesse der Arbeit. Eben nicht so, wie die heutigen schnellen Abzüge, die auch seine Druckerei herstellt, um eben… schnell Geld zu verdienen. Das zumindest funktioniert hervorragend.
Er greift zum Rahmen. Leicht. Gutes Holz. Man trocknete es noch ordentlich und schliff erst später die Ecken und Kanten nach. Der Lack hält seit eh’ und je. Jetzt jedoch spürt und sieht er davon wenig. Er hebt das Bild an und nimmt es ab, stellt es vorsichtig, aber doch mit einer Spur Achtlosigkeit auf den Boden neben ihm an die Wand. Sein Blick gilt der nun sichtbaren Metalltür.
Vorsichtig dreht er an dem kleinen Rad. Es ist ein älteres Modell. Ein Geschäftskollege aus Hamburg verkaufte ihm diesen Einbausafe. Nicht zu teuer, nicht zu sicher, aber für seine Belange völlig ausreichend.
Es macht unmerklich ‚klick’. Nun steckt er noch den interessant geformten Schlüssel in das vorgesehene Loch, schließt herum und öffnet langsam die Tür. Die Mappe, die er greift, sieht noch älter aus, als der Stich. Ist sie aber nicht. Er kennt fast jedes Wort auf den vergilbten Blättern, liest trotzdem noch einmal nach.
Im Garten von Matthias Frenzel ist einiges los. Eine kleine Feier sollte es nur werden. Nun stehen da mehr als einhundert Leute, die meinen, dem gerade erst in die Politik gewechselten stolzen Hausbesitzer alles Gute wünschen zu müssen. Er hasst solche Aufläufe… eigentlich. Er sonnt sich jedoch auch gern in all dem, was man ihm nun angedeihen lässt. Immerhin galt seine Familie als verfolgt, hatte er keine wirkliche Zukunft vor sich, durfte nicht einmal studieren, ganz zu schweigen von einer Karriere unter den Kommunisten… bis vor wenigen Monaten. Nun, da er vielleicht eher als manch anderer die Zeichen der Zeit erkannte, kennt man ihn heute als einen engagierten Macher, der gnadenlos alle Wendehälse findet, ihnen den Spiegel vorhält und damit seinen Namen dermaßen ins Gespräch brachte, dass man nicht an ihm vorbei kam, als es um den Landtag und andere wichtige Positionen ging, die zu besetzen waren. Er vertritt die innere Sicherheit im Ausschuss des Landtages und durfte schon mit dem Innenminister sprechen, den er zwar nicht leiden kann, der ihm jedoch ein wenig Respekt zu zollen schien. Schade eben, dass er an dessen Akten nicht herankommt. Manches ist derzeit noch oder schon wieder nicht möglich. Richtige Hoffnung macht er sich nicht. Die Zukunft führt auch nur in ein System, das er innerlich ablehnt. Jedoch weiß er, wie man zu Geld kommt. Das, welches man jetzt zu verdienen in der Lage ist, ist zumindest etwas wert. Er grinst und schüttelt noch ein paar Hände. Ja, ja, man kann schon auch mal seine Gesinnung verkaufen, wenn dadurch das eigene Leben gesichert wird.
„Mauersberger. Rolf Mauersberger. Druckerei Mauersberger. Kennen Sie sicher?“
Er kennt niemanden. Und solch einen Schnösel braucht er sicher nicht. Alt ist der schon… im Gegensatz zu ihm. Ihn interessieren die wirklichen Industriellen. Gerade stellt er sich diesen Kerl vor, wie er Bleilettern setzt und dann einige Seiten mit einer altmodischen Druckereipresse bedruckt. Hmm… na ja, er lächelt trotzdem.
„Schön, dass Sie kommen konnten, Herr Mauersberger!“
Wer den einlud? Er hat keine Ahnung. Er sollte sich jemanden zulegen, der für offizielle Anlässe die Organisation übernimmt. Jetzt grinst er und will sich abwenden. Mauersberger hält immer noch seine Hand.
„Wir sollten uns unterhalten!“
Was bildet der sich ein? Frenzel schaut ihn fragend an. So etwas erlebte er ja noch nie! Der Blick seines Gegenübers scheint keine Widerrede zu dulden. Nein, das ist… eine Frechheit! Er hat nicht einmal einen Sicherheitsbereich, ein paar Türsteher oder wie man diese Kerle mit den vielen Muskeln nennt.
„Es geht um Ihre Großvater… und meinen… Vater.“
Das wird ja immer verrückter! Erst kennt er den Kerl nicht, dann gibt der ihm seine Hand nicht wieder und nun soll gleich noch Vergangenheit herausgegraben werden? Frenzel flucht leise. Kann er jetzt nicht gebrauchen! Sein Großvater war Nazi. Darum bekam er in der verdammten DDR keinen Fuß in irgendeine Tür. Politisch eh’ nicht. Und in der Entwicklung… Dabei hörte er in den letzten Wochen gar, man suche auch im Westen und Osten nach weiteren
Weitere Kostenlose Bücher