Cholerabrunnen
Mauersberger, inzwischen in der Gruppe als der bekannt, der die Fäden erst einmal zusammenbringt und dann auch zusammenhält, schaut in die einzelnen Gesichter.
„Nun, hier ist sicher der beste Ort.“
Er grinst dabei, schaut hinter sich auf die Ruinen des einstigen Taschenbergpalais und wird wieder ernst.
„Nun, allen ist bekannt, worum es geht. Hier, dieser Brunnen war eine Geste des Dankes… na ja, lange her und hat mit uns eigentlich nichts zu tun, aber… er wurde versetzt. Stand ja erst auf dem Postplatz. Da drüben… da, sehen Sie? Dort, wo die sogenannte ‚Käseglocke’ vor sich hingammelt, dieses Wartehäuschen. Der Brunnen wurde zum Verkehrshindernis… und nun steht da die Glocke. Es kann eben immer anders kommen, als man denkt. Und genau das sollten wir nicht aus dem Auge verlieren. Ziemlich viel steht auf dem Spiel. Verstehen Sie? Wenn die Baumaßnahmen beginnen, bleibt kein Stein auf dem anderen. Dann… ist es nur eine Frage der Zeit, bis man all das findet, was noch da unten liegt.“
Nichts wussten sie. Zumindest tun sie immer noch so. Sie scheinen sich nie mit ihren Vätern und Großvätern unterhalten zu haben. Na, ihm konnte es fast egal sein. Er ärgert sich zwar, sie überhaupt mit ins Boot geholt zu haben, aber wenn es nun einmal so ist, werden sie auch nach seiner Pfeife tanzen. Etwas anderes bleibt ihnen doch gar nicht übrig.
„Also, meine Herren… kommen wir zur Sache!“
Sie schauen ihn an, nicken und folgen ihm.
Angemessen sollte es sein. Zum Glück wurde der sogenannte ‚Fresswürfel’, die alte Gaststätte am Zwinger, die in den 1960-ern der DDR als Großprojekt zur Massenbeköstigung in überhaupt nicht in die Stadt passendem Stil aufgebaut wurde, bereits geschlossen. Irgendwann, da ist sich Mauersberger sicher, reißt man das Ding ab. Bei einigen Architekturleistungen, die er schon im Westen Deutschlands bewundern durfte, bleibt natürlich die Frage offen, was dann dahin kommt.
Nein, man sollte schon ins Hotel gehen. Der ‚Dresdner Hof’ direkt am Neumarkt und in Sichtweite der Ruine der nun zum Wiederaufbau freigegebenen Frauenkirche, bietet ein gutes Ambiente. Er grinst. Na, wenn schon, denn schon. So, wie er jene Herren neben sich kennenlernte, können sie sich nicht alle solch ein Restaurant leisten. Ihm egal. Heute bezahlt er. Und auch dieser Politiktrottel Frenzel wird ihm aus der Hand fressen. Dabei kann er ruhig auftrumpfen, so tun, als wäre er der Größte…
„Meine Herren, dorthin gehen wir!“
Zwei schlucken. Nur Schnittge, erst vor wenigen Wochen aus München übergesiedelt, wobei er eine gute Stelle als Honorarkonsul aufgab, lächelt. Vielleicht dachte er sich schon solch ein Ziel? Sehr viele gute Adressen gibt es in Dresden derzeit nicht. Sicher wird sich das ändern… bald schon. Bauen geht schnell. Hoffentlich auch so überlegt, dass man in einigen Jahrzehnten nicht wieder alles abreißt?
Mauersberger geht voran durch die Drehtür. Der dahinter postierte Concierge mustert die Vier schon, meint wahrscheinlich, auf einen Ausreißer kommt es nicht an, nickt und lässt sie ins Hauptrestaurant gleich im Foyer durch.
Harald Bauer schaut genervt auf den Aufsteller, an dem sie geschickt vorbei gehen müssen, ohne mit den viel zu weiten Mantelschößen daran hängen zu bleiben. Komischer Zugang. Und die Preise… soviel gab er letztens für einen ganzen Einkauf beim Lidlmarkt in seiner Wohngegend aus. Und davon ist immer noch genügend im Keller und im Kühlschrank. Er überlegt. Hat er überhaupt soviel Geld dabei? Dann schaut er Mauersberger ins Gesicht, der mit einem kaum zu erkennenden Nicken mitzuteilen versucht, er übernehme alles. Hmm… na ja, gefällt Bauer gar nicht, aber was soll er tun? An den alten Geschichten über den Großvater scheint einiges dran zu sein. Er muss einfach hier dabei sein… oder wird nichts erfahren und vielleicht auch nichts erhalten? Braucht er etwas davon? Er hat keine Ahnung. Na ja, aber ein Essen in feiner Gesellschaft… nein, das ist auch nur ein Krampf. Er überlegt ernsthaft, wieder umzudrehen, einfach zu gehen, diese ganze Sache zu vergessen.
„Was darf ich den Herren an Getränken bringen?“
„Sie alle haben die Unterlagen gelesen und bisher erhielt ich noch von niemandem eine Gegenrede. Also scheint es sich zumindest um Tatsachen zu handeln… na ja, oder eben Behauptungen, die Sie sich als Tatsachen vorstellen können. Stimmen Sie mir zu?“
Nicken. Bauer und Frenzel schauen sich dabei an.
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