Cholerabrunnen
Kriegsverbrechern. Zum Glück weiß er nicht viel über den alten Herrn, an den er sich nur noch schemenhaft erinnern kann. Irgendwie schaffte der es, sich am Leben zu halten und trotz seiner Vergangenheit noch die Neunzig zu feiern, ohne von irgendeiner Macht vereinnahmt zu werden.
Er nickt kurz. Nazis… wenn man sie publik macht… sind sicher kein Aushängeschild für eine politische Karriere in einem neuen Deutschland. Er weist diesem… Mauersberger den Weg. Frenzels Frau schaut pikiert. Sie ist eben so. Nichts kapiert sie. Jetzt, da er auch noch bekannter und vielleicht bald gefragter ist, als ihr alter Herr, der sich mit seinem Handwerk eine goldene Nase in der alten Gesellschaft verdiente, jetzt alles zumachte, um keinen Verlust einzufahren nun nur noch vom alten Geld lebt und natürlich darauf sitzt, seiner Tochter und dem Schwiegersohn nicht einmal eine Straßenbahnfahrkarte bezahlen würde, schaut sie sich alles genau an, was er tut. Wahrscheinlich würde sie sich sofort von ihm trennen, wenn abzusehen ist, dass er gegen den Baum fährt… Na ja, ihm ist es fast egal. Im Bett läuft nichts mehr, seit sie ihn mit der kleinen Praktikantin erwischte. Und er sah das nicht unbedingt als Grund, sich in Zukunft von den Weibern fernzuhalten. Gerade und besonders nicht, wenn sie unter seinem unmittelbaren Einfluss stehen. Praktikantinnen tun das… und sind so verdammt naiv… die machen alles. ‚Ohne’ auch noch. Und dann… na ja, bisher beklagte sich noch keine über Bauchschmerzen… der besonders schreienden Art. Liegt vielleicht daran, dass er immer kann, aber da nichts drinnen ist? Er grinst, nickt seiner Frau zu, die nur die Augen nach oben zieht. Dann verschwinden sie im Arbeitszimmer. Der ewige Kampf… das allein schon einrichten zu dürfen. Na, in Zukunft… er denkt häufig in künftigen Regionen… in Zukunft hat er wohl das alleinige Sagen zuhause. Wer etwas verdient, kann das auch einfordern. Die kleine Zahnradbude, in der seine Frau als Sekretärin schaffte, ist nun schon zu… und sie gelinde gesagt auf der Straße. Auch wenn er natürlich immer behauptet, sie als seine direkte Assistentin heimgeholt zu haben. Frage des Marketings. Er grinst noch einmal und seine buschigen Augenbrauen wippen dabei. Dann konzentriert er sich auf sein Gegenüber. Wird jetzt sicher eine verdammt unschöne Unterhaltung, oder? Er schielt zur Bar in der Zimmerecke. Nein, dann müsste er dem auch etwas anbieten.
„Ihr Großvater und mein Vater waren Freunde.“
So einen blöden Unterhaltungsstart hörte Frenzel noch gar nicht. Meist ging es doch um Geld oder eine Gefälligkeit und dann brachte man an, dass irgendwer ein Gespräch empfahl oder auch… na ja, man sich mal sah und nur nicht daran erinnern könne, in welchem Zusammenhang das alles geschah.
„Ja, und?“
Mauersberger steht gerade, schaut sich offen im Raum um. Was der sich herausnimmt! Da draußen stehen einhundert oder inzwischen schon mehr Gäste und er hält ihn mit lapidarem Gerede vom Mitfeiern ab. Na, er sollte gehen!
„Hier, ich habe mal ein paar Kopien mitgebracht. Vielleicht für Sie interessant? Sicher wissen Sie gleich, warum ich heute komme.“
Eine einfache Mappe. Bewerbungsmappe der unteren Güte. Frenzel bekommt viele davon auf den Tisch. Er leitet sie weiter. Meist geht es um irgendein Ressort, auf das er eh’ keinerlei Einfluss hat. Weiterleiten muss er aber alles und jede Dienststelle sollte auch eine Antwort schreiben. Die Politikverdrossenheit, von der einige westliche Kollegen sprachen, scheint schon einzusetzen. Er schluckt zwar beim Gedanken daran, aber was sein muss, muss eben sein.
Nun schlägt er die Mappe auf. Vielleicht will der Kerl ihn nur ärgern? Manche kommen ja von denen ganz oben nicht los, wollen sich mit ihnen gleichstellen, sich mit ihnen zeigen, um etwas von Macht und Ruhm auf sich abfärben zu lassen. Dann sollte er sich fast schon gebauchmiezelt fühlen. Wer ihn… als mächtig ansieht…
Er schaut auf die Unterschriften und Siegel.
Nazideutschland. Ganz klar. Hmm… Und was soll das nun? Mehr als nur fragend entdeckt er schließlich die beiden Namen. Mauersberger und Frenzel. Er weiß nicht, ob sein Großvater wirklich genau so unterschrieb, ob es sich um eine Fälschung oder ein Original handelt. Und vom Inhalt versteht er ebenso wenig.
„Können Sie mir das übersetzen? Was soll der ganze Kram? Sie sehen doch, dass ich das Haus voll habe. Also?“
Mauersberger schaut ihn lange an. Dann gibt er
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