Choral des Todes
derart hasste?«
»Was kannst du mir über das Tatwerkzeug sagen?«
»Eine sehr lange, sehr widerstandsfähige Nadel, zweifellos aus Metall. Morgen werden wir mehr wissen.«
»Wartest du auf die Ergebnisse der Analysen?«
»Ja. Wir haben Knochen aus dem Felsenbein entnommen, das die Schnecke enthält. Wir haben die Probe zum Nachweis von Metallresten ins Labor für Biophysik des Hôpital Henri-Mondor geschickt. Meines Erachtens werden sie winzige Metallsplitter finden, die von der Spitze abgerieben wurden, als sie am Knochen scheuerte.«
»Bekommst du die Ergebnisse der Analysen?«
»Zuerst meine HNO -Spezialistin.«
»Wie heißt sie?«
»Vergiss es. Ich kenne dich. Du wirst sie mitten in der Nacht anrufen.«
»Wie heißt sie, Mendez?«
Ricardo seufzte, während er einen Zigarillo aus seiner Tasche zog:
»France Audusson, HNO -Klinik im Klinikum Trousseau.«
Kasdan schrieb den Namen in sein Notizbuch. Seit einigen Jahren ließ sein Gedächtnis nach.
»Und die toxikologischen Analysen?«
»In zwei Tagen. Aber man wird nichts finden. Der Fall ist klar, Kasdan. Nicht banal, aber klar.«
»Was kannst du mir über den Mörder selbst sagen?«
»Große Kraft und große Schnelligkeit. Er hat die beiden Trommelfelle durchstochen, tschak-tschak, und schon brach der Organist zusammen. Die Handbewegung wurde sehr schnell und präzise ausgeführt.«
»Glaubst du, dass er anatomische Kenntnisse besitzt?«
»Nein, aber er ist geschickt und hat richtig gezielt.«
»Kannst du etwas über seine Größe und sein Gewicht sagen?«
»Nein, nur über seine Kraft. Man muss eine gewaltige Kraft aufwenden, um den Knochen zu durchbohren. Es sei denn, er hätte eine Technik angewandt, an die ich noch nicht gedacht habe.«
»Hast du keine Fingerabdrücke auf seinem Körper gefunden? Etwa auf den Ohrläppchen? Speichelreste oder Spuren anderer Stoffe, an denen man eine DNA -Analyse vornehmen könnte?«
»Fehlanzeige! Der Mörder hat sein Opfer nicht berührt. Der spitze Gegenstand war der einzige Kontakt.«
Kasdan erhob sich und legte die Hand auf die Schulter des Gerichtsmediziners:
»Danke, Mendez.«
»Nichts zu danken. Ich gebe dir noch einen guten Rat: Lass die Finger davon. Das ist nichts mehr für Leute in deinem Alter. Bei den Typen von der Mordkommission ist der Fall in guten Händen. Sie werden den Mistkerl, der das getan hat, in weniger als zwei Tagen identifiziert haben. Bereite dich auf deine Reise vor und belästige niemanden mehr.«
Kasdan murmelte, wobei sein Atem in der kühlen Luft kondensierte:
»Der Mörder hat mein Territorium geschändet. Ich werde ihn finden. Ich bin der Tempelwächter.«
»Du bist vor allem die größte Nervensäge.«
Kasdan schenkte ihm sein schönstes Lächeln:
»Ich lass dir die Pfannkuchen.«
KAPITEL 5
Wilhelm Götz wohnte in der Rue Gazan 15-17, gegenüber dem Park Montsouris.
Kasdan überquerte die Seine auf dem Pont d’Austerlitz und fuhr den Boulevard de l’Hôpital hinauf bis zur Place d’Italie. Dort folgte er der Hochbahn bis zum Boulevard Auguste-Blanqui und fuhr weiter zur Place Denfert-Rochereau, wo er in die Avenue René-Coty einbog, die bereits die Stille und die Weite des Park Montsouris am Ende der Verkehrsader in sich trägt.
Vor dem Park bog er nach links ab und stellte sein Auto in der Avenue Reille ab, etwa dreihundert Meter von seinem Ziel entfernt. Reine Vorsichtsmaßnahme.
Während der Fahrt hatte er darüber nachgebrütet, weshalb er nichts aus den Kindern herausgebracht hatte. Er hatte sich auf diese Chance gestürzt und nichts daraus gemacht. Eine verpatzte Vernehmung war eine verbrannte Chance. Aus den Jungen würde man nichts mehr herausbekommen. Er hatte wirklich Mist gebaut.
»Das ist nichts mehr für Leute in deinem Alter«, hatte Mendez gesagt. Vielleicht hatte er recht. Aber Kasdan konnte diesen Mörder nicht laufen lassen. Dass die Gewalt ihn in seinem Refugium heimgesucht hatte, war ein Zeichen. Er musste den Fall lösen. Dann ab durch die Mitte. Die große Reise. Die urchristlichen Kirchen. Die steinernen Kreuze. Die frühgeschichtlichen Stelen.
Kasdan vergewisserte sich, dass die Avenue tatsächlich menschenleer war, dann schaltete er die Deckenleuchte ein. In der Ephorie hatte er die Karteikarte von Wilhelm Götz mitgehen lassen, die dieser selbst bei seinem Dienstantritt ausgefüllt hatte. Der Chilene hatte sich kurz gefasst. Geboren 1942 in Valdivia (Chile). Junggeselle. Wohnhaft in Paris seit 1987.
Zum Glück hatte Sarkis
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