Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
haben. Und ausgerechnet dem begegnete ich nun, ausgerechnet der fuhr mich in den Knast.
Wir haben uns sofort erkannt, ich sah mit Anfang zwanzig noch aus wie mit fünfzehn. Aber er sagte nichts, wir schwiegen uns die ganze Fahrt lang an.
Da ich bereits zwei Monate in U-Haft gesessen hatte, blieb ich nur noch zehn Monate in der neugebauten JVA Plötzensee. Anna und Daniel haben mich nicht besucht. Ich wollte auch nicht, dass sie kommen, da Daniel ja gar nicht wusste, dass ich wieder rückfällig geworden war.
Miriam und Guido aus der Hamburger WG kamen mich besuchen, ebenso viele Freunde aus der Berliner und der Züricher Szene. Auch Nina Hagen war bei mir in Plötzensee, und sogar Hector Coggins tauchte auf. Unglaublich! Er war wegen einer Ausstellung seiner Arbeiten in Deutschland und hatte sich bei Alexander Hacke erkundigt, wie es mir ging. Als der ihm erzählte, dass ich einsaß, kam Hector vorbei. Er fand es ziemlich cool, mich hinter Gittern zu sehen. Es inspirierte ihn wohl mal wieder auf irgendeine Art und Weise.
Aber ich war inzwischen in Gode verknallt. Einen Freund hatte ich gebeten, Gode zu fragen, ob ich ihm aus dem Gefängnis heraus schreiben dürfe. Ich durfte, so kamen wir uns näher, auch wenn er mich nie besuchte, weil ich das nicht wollte. Wir schrieben uns mindestens drei Mal in der Woche – aber das habe ich, glaube ich, schon erwähnt. Wir benutzten immer dasselbe Briefpapier. Und irgendwann zierten Schleifen die Umschläge und Herzchen oder ein Lippenstift-Kuss. Nach meiner Haftstrafe kamen wir dann zusammen und flogen gemeinsam in mein Griechenland-Abenteuer.
Auch von Griechenland aus besuchte ich noch ein paar Mal Daniel und Anna in Zürich. Sie nahmen mich auch wieder auf, aber meistens schlief ich doch bei Bekannten vom Platzspitz. Denn Daniel wusste ja nicht, wie tief ich schon wieder im Drogensumpf steckte. Doch irgendwann konnte ich den beiden nicht mehr unter die Augen treten. Ich glaube, dass ich den Kontakt darum einfach habe schleifen lassen.
Zu groß war mein schlechtes Gewissen, und ich denke, dass Anna der festen Überzeugung war, mich loslassen zu müssen, weil ich sowieso nicht mehr lange zu leben haben würde. Das denken die meisten, wenn sie mitbekommen, dass ich wieder an der Nadel hänge.
Mehr als fünfundzwanzig Jahre später rief ich Anna einmal wieder an, als ich in großer Not war. Ich brauchte ziemlich dringend ziemlich viel Geld, an mein eigenes kam ich nicht ran, und es fiel mich nichts anderes ein, als Anna anzurufen. Sie stellte nicht einmal die Frage, wofür ich es brauchte, sondern sagte mir sofort ihre Hilfe zu.
Doch als sie erwähnte, dass sie erst jemanden suchen müsse, der für sie die Anweisung machen kann, weil sie selber das Haus nicht verlassen könne, da hätte ich schalten müssen. Verdammt noch mal. In dem Moment hätten meine Alarmglocken schellen müssen, aber ich war nur mit mir selbst beschäftigt, wie so oft. Anna war damals schon schwer krank, und es tut mir wahnsinnig leid, dass ich mich nicht mehr bei ihr entschuldigen und mich auch nicht mehr richtig bei ihr bedanken konnte.
Danke. Für das alles!
2010 starb Anna. Ein Jahr später Daniel.
Unheimlicher Basar
Aus morschen Brettern und auf gestohlenen Gepäckwagen aus dem nahe gelegenen Hauptbahnhof haben sie Verkaufsstände gezimmert, Löffel liegen zum Erhitzen der Cocktails darauf ausgebreitet. „Koki, Koki, a guates Koki!“, hallt es wie auf dem Wochenmarkt. Andere Verkäufer bieten lauthals „Braunes“, Barbiturate, Whiskey oder Bier an.
Hunderte „Drögeler“, wie die Züricher Drogenabhängige nennen, drängen sich in diesem Park, an manchen Tagen sind bis zu 3.000 von ihnen versammelt.
Sie sitzen auf einem Spritzenteppich, in den Blumenbeeten und hinter den Büschen, sie drücken sich vor den Augen von Schaulustigen Nadeln in Arme und Beine. Einige reißen sich die Kleider vom Leib auf der Suche nach einer intakten Vene an ihren mageren, von eitrigen Wunden übersäten Körpern. Auch im Winter. Sie stochern verzweifelt in ihrer Leiste herum, oder in ihrem Hals, weil alle anderen Venen bereits entzündet sind. Halbnackte Leiber liegen unter freiem Himmel – bläulich angelaufen vor Kälte, manche sind bereits tot.
Nur zehn Gehminuten vom Glanz der Züricher Bahnhofsstraße entfernt bildete diese gespenstische Szenerie auf der schmalen Uferpromenade zwischen dem Schweizerischen Landesmuseum und den beiden hier spitz zusammenfließenden Flüssen Sihl und Limmat viele
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